CATULL UND DIE NEOTERIKER
So, jetzt müssen wir mal wieder unsere grauen Zellen einschalten... Halt,
nicht wegsurfen! Chatten und nach illegalen MP3ern könnt ihr auch nachher
weitersuchen. Ihr seid doch hier, um was zu lernen, oder? Gut, also dann, lehnt
euch zurück, macht´s Euch gemütlich...
Wir schreiben das erste Jahrhundert vor Christus. In Rom war um diese Zeit -
politisch gesehen - der Teufel los. Kriege, Verschwörungen (z. B. die Catilinaverschwörung)
und die Tyrannei des Sulla, hier wurde alles an politischen Schweinereien geboten.
Dazu kam noch die hinlänglich bekannte Käuflichkeit der Politiker,
die für einen gehörigen Batzen Sesterzen die Gerechtigkeit links liegen
ließen. Der Verfall der Werte war zunehmends spürbar. Diese Werte,
die mos maiorum, waren eine Art Ehrenkodex, ungeschriebene moralische Richtlinien.
Zu diesen Werten zählen sämtliche Wörter, die sich immer so schwer
ins Deutsch übertragen lassen:
virtus, pietas, gravitas, dignitas, fides. Langsam aber sicher verblassten auch
diese Richtlinien, die Jahrhunderte lang für ein ehrliches und geregeltes
Leben in Rom verantwortlich waren.
Das prächtige Rom steckte also in einer moralischen und politischen Krise
und es sollten noch ein paar Jährchen in die Lande ziehen, bis es da auch
wieder raus kommt. Für viele Menschen bedeutete Rom bis dahin immer ein
Vorbild an Moralität und political correctness. Bis jetzt. Das ständige
Durcheinander in Rom führte dazu, dass sich viele innerlich von Rom abwandten.
Man zog sich aus dem politischen Leben zurück und suchte seine Geborgenheit,
die der Staat nicht mehr bieten konnte, woanders: im engen Freundeskreis.
Auch die Neoteriker (übersetzt: die Neuen) sind eine literarische Gruppe,
die sich innerlich von Rom abwandten. Auch sie sahen sich im Römischen
Durcheinander verloren und suchten ihr Heil in ihrem Freundeskreis. Ihr literarisches
Vorbild ist deshalb auch verständlicherweise nicht das Römische. Sie
wollten die Römische Tradition nicht fortführen, stattdessen suchten
sie sich Idole aus einer Epoche, in der es noch moralische Normen gab. Und wurden
bei der griechischen Kultur fündig. Das Vorbild der Neoteriker ist also
nicht das römische, sondern das griechische. Die sog. hellenistische Dichtung
orientierte sich aber an ganz neuen Formen und Richtlinien verglichen mit der
Römischen Literatur.
Die Kunst an der hellenistischen Dichtung war die Formstrenge, die Kürze
und der hohe Anteil an Gelehrsamkeit darin. Genau wie das griechische Vorbild
Kallimachos (3. Jhdt. v. Chr.) lehnten die Neoteriker deswegen die Form des
Epos strikt ab, die einfach zu ausschweifend und unförmig waren. Ihre Gedichte
waren kurz und bündig. Möglichst viele Stil- und Sprachmittel auf
möglichst kleinen Raum zu quetschen, das war für die Neoteriker die
große Kunst. Ihnen ist es zu verdanken, dass sie griechische Versmaße
in die römische Literatur einbrachten: Galliambus, Phaläceus, die
sapphische Strophe, der Asklepiadeus und der Hinkjambus, all diese leckeren
(wenn auch für die meisten von uns nichtssagenden) Verse haben die Neoteriker
die römische Sprache hinübergerettet. Sie stellten auch feste Gesetze
für die Lyrik auf (Zäsur etc.). Wie gesagt, lehnten sie das Epos ab
(zu laaaaaaaaaaangatmig), sie waren fanatische Anhänger des Mimos (Kurzdrama),
des Epigramms, der Elegie und des Epylions. Auch Lehrgedichte waren bei ihnen
außerordentlich beliebt. Wie schon gesagt: In der Kürze lag die Würze.
Ihre Bücher nannten sie auch mit Vorliebe "libelli".
Inhaltlich begaben sich die Neoteriker in eine neue Ära der Thematik. Politische
Dichtung fiel für sie von vornherein flach, kein Wunder bei dem derzeitigen
Staatszustand. Aber irgendwoher mussten sie ja den Stoff herbekommen. Deshalb
konzentrierten sie sich in ihren Gedichten auf sich selber, auf das Leben, auf
dessen Probleme, auf ihr Leben, auf ihre Probleme. Die Neoteriker reden gerne
in ihren Gedichten über persönliche Erlebnisse, Szenen aus dem Alltag,
alltägliche Probleme. Liebe, Wut, Schmerz und Freude, die gesamte emotionale
Bandbreite wurde bei ihnen verfeuert. Politik spielt keine Rolle mehr, die Politiker
werden bei ihnen gerne auf übelste Weise durch den Kakao gezogen. Sie nahmen
kein Blatt vor den Mund, war ihre Dichtervereinigung doch nichts anderes als
ein engster Freundeskreis, dem man alles anvertrauen konnte. Auch seine Emotionen.
Ihre Gedichte kann man psychologisch einfach als ein Ventil sehen, eine Methode,
einfach mal alles loszuwerden, was einen bedrückt, was einem wichtig ist.
Und das alles in der Vertrautheit von Freunden. Durch ihre Formvollendetheit
ihrer Gedichte versuchten die Neoteriker untereinander die Anerkennung zu erreichen,
die ihnen im Römischen Staatsleben versagt wurde.
Und in diese Gruppierung der Neoteriker gelangt auch der Mann, der auch noch
heute für die T-Shirts mit dem "Odi et amo"-Schriftzug verantwortlich
ist: Catull. 87 v. Chr. geboren, wächst auch er inmitten der politischen
und moralischen Widrigkeiten auf und fühlt sich erst im Kreis der gleichgesinnten
Neoteriker geborgen. Er steht 100%ig hinter deren Grundsätze, hält
sich also auch formelll und inhaltlich an das neoterische Vorbild: kurz und
bündig. Und lebensnah. Seine Gedichte handeln auch vom Leben an sich und
dem, was ihn selbst bewegt. Er redet von Freundschaft, Hochzeiten im engeren
Bekanntenkreis, trauert über den Tod seines Bruders, schildert u. a. auch
banale Situationen wie eine Schiffsweihung. Diese persönlichen Gedichte
geben wie bei allen anderen Vertretern der Neoteriker auch einen tiefen Einblick
in seine Person. Die Hauptthematik seiner Gedichte ist aber die Liebe zu einer
ganz bestimmten Frau: die berüchtigte Lesbia. Ihr eigentlicher Name war
wohl Clodia und ist angeblich die Schwester des Volkstribuns, der Cicero in
die Verbannung schickte. Die Dame war wohl das, was man heutzutage eine "femme
fatale" nennen würde: schön und skrupellos. Und Catull war ihr
absolut hörig. Leider hat er das viel zu spät bemerkt. Die Lesbia-Gedichte
dokumentieren eindrucksvoll vier Phasen, die Catull durchleben musste. Ganz
zu Beginn stand der Liebesrausch, die berühmten Schmetterlinge im Bauch.
Für ihn war am Anfang Lesbia die schönste Frau weit und breit. Er
nennt sie in seinen Gedichten gerne "passer", den Spatz. Kurz darauf
bemerkt er schon leicht seine Abhängigkeit von ihr. Die Liebe zwischen
den beiden hat für ihn irgendwie den Anschein der Einseitigkeit, sie erwidert
sie kaum. Aus dem Spatz wird in seinen Gedichten die Herrin, der er dennoch
gehorcht In der dritten Phase merkt er dann, dass Lesbia es auch noch mit der
Treue nicht zu ernst nimmt. Für ihr Fremdgehen und die Orgien war sie anscheinend
auch noch berüchtigt, zumindest schien jeder davon zu wissen. Für
den liebestrunkenen Catull ein ernüchternder Schlag ins Gesicht. Aus seinen
zu dieser Zeit geschriebenen Gedichte spricht eine gehörige Portion Hass
und Verachtung (er nennt sie desöfteren eine Hure), aber er ist immer noch
nicht stark genug, um sich von ihr zu trennen. Der Mann legt also leicht schizphrene
Tendenzen an den Tag. Die vierte Phase bedeutete dann das Ende des Dramas. Er
schafft es nun endlich, sich von ihr zu lösen. Er sieht ein, dass sie ihn
irgendwie nur ausgenutzt hat und fasst sein gesamten Ringen in dem wohl berühmtesten
Zweizeiler der gesamten römischen Literatur zusammen:
"Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris?
Nescio. Sed fieri, sentio et excrucior."
Dieses Gedicht ist so ziemlich das beste Beispiel für neoterische Lyrik:
kurze Form, persönlicher Inhalt, viele Verschleifungen. Dass dieses Gedicht
noch dazu sprachlich und formell höchst anspruchsvoll ist, kann man an
der Anzahl der Übersetzungen ersehen, mit denen viele namhafte Dichter
versucht haben, es auf Deutsch einzufangen. Es existieren angeblich ca. 80.
Daraus zieht man aber noch dazu die Erkenntnis, dass Catull und seine Gedichte
auch nach 2000 Jahren viele Menschen beschäftigen. Nicht nur Dichter wie
z. B. Mörike (von dem die berühmteste Odi-et-amo-Übersetzung
stammt), sondern auch Musiker wie Carl Orff, der in seinen "Catulli carmina"
Catulls Dichtergut verwendet hat. Ob der mit den Copyrightrechten einverstanden
gewesen wäre...