DIE VAGANTENDICHTUNG
Unter der Vagantendichtung versteht man kurz und bündig
die weltliche Lyrik und Sprachdichtung der sog. fahrenden Scholaren, die im
12ten und 13ten Jahrhundert des Mittelalters auf lateinisch verfasst worden
sind. Für alle, die jetzt mit dem Begriff der "fahrenden Scholaren"
nichts anfangen kann: Darunter verstand man Studenten, die auf der Suche nach
höherer Bildung durch die Lande zogen. Zu der damaligen Zeit war das Bildungssystem
noch nicht wirklich weit verbreitet, und vor allem auf dem Land suchte man Schulen
vergebens. Da blieb den ehrgeizigen Akademikern in spe nichts anderes, als sich
selber auf den Weg durch die Lande zu machen und in den einzelnen Städten
die schulischen Einrichtungen zu besuchen. Natürlich war das Geld bei den
Studenten, wie halt auch heute, recht knapp. Deswegen waren sie auf Spenden
angewiesen, die sie für Dienste jeglicher Art entgegen nahmen. Unter anderem
auch für ihre Dichtung. Und so zogen die Vaganten durch die Lande, besonders
in Frankreich, Deutschland und England waren sie anzutreffen. Unter den vielen
zahllosen überlieferten Gedichten, die von heute uns unbekannten Studenten
und Klerikern verfasst worden sind, hat die Vagantendichtung wenige Autoren
hervorgebracht, deren Namen heute noch bekannt sind. Über die beiden berühmtesten
Vertreter, Hugo von Orléans und den Archipoeta ist bis auf die Namen
dennoch wenig bekannt.
Hugo von Orléans starb 1160 und galt zu seinen Lebzeiten als hoch gebildet.
Dennoch war er vom Wohlwollen seines Publikums finanziell abhängig. Vieler
seiner Gedicht sind deswegen recht vulgär, auch wenn es Hugo bestimmt intelligenter
hätte machen können. Im Gegensatz zu ihm bemühte sich der Archipoeta,
von dem nur das ungefähre Geburtsdatum von ca. 1130 bei Barbarossa bekannt
ist, stets um Unabhängigkeit. Auch er galt als hoch gelehrt. Man sagt ihm
Studien in Theologie und Medizin nach. Außerdem heißt es, er sei
Hofdichter gewesen. Kein Wunder, dass er mit dem Dichten kein Problem hatte.
Bei ihren lyrischen Ergüssen hielten sich die Vaganten gerne an ihre antiken
Vorbilder. Besonders ist hierbei Ovid hervorzuheben. Oft werden auch Horaz,
Vergil, sowie die gesamten römischen Elegiker angeführt. Die Verbindung
zu diesen Vorbildern lässt sich schon bei den Gedichtsthemen der Vaganten
nachweisen. Auch ihre Dichtung ist gerne moralisch und satirisch angehaucht,
gelegentlich aber deutlich derber und direkter als die römischen Texte.
Natürlich setzten sie sich auch mit der Welt um sie herum auseinander.
Sie schrieben über alles Persönliche, alles, was sie bewegte. So wie
die Neoteriker. So finden sich in den mittellateinischen Texten der Vaganten
viele Liebeslieder, jede Menge sinnvoll sinnlose Saufsprüche, sowie Spielelieder.
Doch scheuen sie auch keine Kritik an ihrer Situation, klagen über ihre
missliche Lage, machen sich über die politischen Anführer ihres Staates
lustig und geifen gerne Kirche und Klerus verbal an, die mit ihren moralischen
und prüden Ansichten oft ein Dorn im Auge der Vaganten waren.
Die Sprache und Form ihrer Gedichte war dabei immer ähnlich: ihren Stil
nennt man die sogenannte Vagantenstrophe. Im Gegensatz zur römischen Literatur
ist ihre Art von Dichtung unserer modernen insofern sehr ähnlich, als dass
jetzt im zeitgenössischen Sinne tatsächlich gereimt wird. Während
die Römer quantisierend dichteten, dichten die Vaganten wie wir heute akzentuierend:
hier wechseln sich betonte und unbetonte Silben immer in der gleichen Art ab:
méum | ést pro | pósit | úm | ín tab | érna | móri
úbi | vína | próxim | á | móri | éntis | óri.
Viele der Texte, die in diesem Versmaß geschrieben
sind, sind heute in Sammlungen zusammengefasst. Die bekannteste Sammlung dürften
wohl die Carmina Burana sein, die im Kloster Andechs gefunden worden sind und
von Carl Orff vertont wurden (es gibt auch einige sehr bizarre Verfilmungen
mit Phalli aus Zuchthecken. Super...). Doch ebenso ist auch die Liederhandschrift
von Cambridge sowie die balladescen Lieder von Francois Villon erhalten.
messy am 26. 9. 2003