CICEROS "DE FINIBUS BONORUM ET MALORUM"

Einleitung und Vorgespräch (13-28)

13.
Um aber mit dem Einfachsten anzufangen, soll man also als erste philosophische Schule mitten in die des Epikur eintauchen, die den meisten mehr als bekannt ist. Diese wirst du von mir so dargelegt sehen, dass es von denen, die diese Lehre prüfen, nicht gewöhnlich ist, sie noch sorgfältiger zu erklären; denn ich will die Wahrheit finden, und nicht gleichsam irgendeinen Gegner überführen. Sorgfältig wurde aber einmal von L. Torquatus, einem Menschen, der in der ganzen Lehre gebildet war, die Meinung Epikurs über die Lust verteidigt, und von mir wurde ihm geantwortet, als C. Triarius, ein besonders ernster und gelehrter Mensch, an dieser Diskussion teilnahm.

14.
Denn als beide zu mir nach Cuma gekommen waren, um mich zu begrüßen, sprachen wir erst wenig über Literatur, worin beide den größten Eifer legten, dann sagte Torquatus: „Da wir dich ja hier müßig angetroffen haben, werde ich sicher hören, was es ist, dass du unseren Epikur zwar nicht hasst, wie es ungefähr die tun, die von ihm abweichen, aber nicht billigst, ihn, der meiner Meinung nach die einzige Wahrheit gesehen hat und die Herzen der Menschen von den größten Fehlern befreit und alles überliefert hat, was sich aus das gute und glückliche Leben bezieht. Aber ich glaube, dass du, so wie unser Triarius, weniger von dem erfreut wirst, weil er jenen Redeschmuck eines Platos, Aristoteles und Theophrast vernachlässigt hat. Denn freilich kann ich dazu kaum veranlasst werden, dass das, was jener meinte, nicht wahr scheint.“

15.
„Sieh“, sagte ich, „wie sehr du getäuscht wirst, Torquatus. Mich beleidigt die Rede dieses Philosophen da nicht; denn er umfasst mit Worten, was er will und sagt es deutlich, so dass ich es verstehe; und dennoch werde ich mich wohl bei einem Philosophen, wenn Beredsamkeit da sein sollte, nicht weigern, sollte sie aber fehlen, nicht fordern. Durch die Sache genügt er mir nicht meinem Anspruch, und zwar in vielerlei Hinsichten. „Aber wieviele Menschen, so viele unterschiedliche Meinungen)“; also können wir getäuscht werden.“

„Weswegen genügt er dir denn nicht?“ fragte er. „Ich halte dich nämlich für einen gerechten Richer, wenn du nur das, was er sagt, gut kennst.“

16.
„Ich kenne alle Gedanken Epikurs zu Genüge“, sagte ich, „außer Phaidion oder Zenon hätten mich angelogen, von beiden habe ich es gehört, obwohl sie mir nichts außer Emsigkeit prüften. Und die, die ich genannt habe, habe ich häufig mit unserem Attikus zusammen gehört, weil jener zwar beide bewunderte, aber auch Phaidion liebte und täglich verglichen wir untereinander das, was wir hörten und niemals gab es Streit darüber, was ich verstand, sondern was ich billigte.“

17.
„Was ist es also?“, fragte er. „Denn ich will hören, was du nicht billigst.“ „Zuerst in der Physik“, sagte ich, „wo er sich besonders rühmt, ist er mir gänzlich fremd: er spricht demokritisches Gedankengut, verändert dabei ganz wenig, aber so, dass er das, was er berichtigen will, mir allerdings zu verunstalten scheint. Er meint, dass das, was er Atome nennt, d. h. aufgrund ihrer Dichte unteilbare Körper, im begrenzten Raum, in dem es kein Höchstes, kein Niedrigstes, keine Mitte, kein Innerstes und kein Äußerstes gibt, so getragen wird, dass sie untereinander durch Verknüpfungen zusammenbinden, woraus alles das bewirkt wird, was ist und was man alles sieht; man solle einsehen, dass die Bewegung durch keinen Anfang, sondern seit der Unendlichkeit der Zeit zustande komme.

18.
Epikur aber irrt sich nicht, indem er Demokrit folgt. Freilich billige ich vieles bei beiden nicht, dann aber besonders das, dass sie, obwohl man im Wesen der Dinge zwei Fragen stellen muss, einmal, was der Stoff ist, aus dem alles erreicht wird, und dann, was das für eine Kraft ist, die alles bewirkt, über die Materie diskutieren, die Kraft und den Grund für das Wirken aber beiseite ließen. Aber dieser ist nur ein Fehler, den beide gemeinsam haben, das hier aber ist alleine dem Epikur ein Zeichen für seine wacklige Theorie: denn er meint, dass genau diese unteilbaren Teilchen und dichte Körper durch ihr Gewicht nach unten senkrecht bewegt werden und dies die natürliche Bewegung der Körper sei.

19.
Dann, als es ihm dämmerte, wenn alles aus einer Gegend nach unten getragen wird und das, wie ich gesagt habe senkrecht, dass es niemals geschehen könne, dass das eine Atom so nie ein anderes berührt, erfand dieser kluge Kopf einen Umstand hinzu: er sagte, dass sich das Atom ein klein wenig neige, was wohl unwahrscheinlich ist, so dass eine Berührung dennoch geschehen konnte; so würden die Verbindungen, Vereinigungen und Zusammenschlüsse untereinander bewirkt werden, aus dem die Welt und alle Teile der Welt und was darin ist, bewirkt würden. Da diese ganze Sache kindisch erdichtet ist, bewirkt sie nicht einmal das, was sie will. Denn auch die Beugung selbst wird willkürlich erfunden (denn er sagte, dass ein Atom grundlos seine Bahn änderte; es gibt aber für einen Physiker nichts Schlimmeres als zu sagen, dass etwas grundlos geschieht) und er nahm jene natürliche Bewegung aller Gewichte, die, wie er selbst feststellte, von oben nach unten streben, und erreichte dennoch nicht das, weswegen er es erfunden hatte.

20.
Denn wenn alle Atome ihre Richtung ändern, werden sie sich niemals zusammenschließen; sei es dass die einen ihre Richtung ändern werden, die anderen ihrer Schwerkraft gemäß richtig nach unten fallen, wird das erstens bedeuten, den Atomen gleichsam Amtsbereiche zu geben, damit sie richtig, damit sie schief fallen, dann zweitens, kann eben dieser unruhige Zusammenlauf der Atome (an denen auch Demokrit festhält) wird diesen Schmuck der Welt nicht bewirken. Nicht einmal das ist Aufgabe eines Physikers zu glauben, es gäbe etwas Kleinstes; das hätte auch er niemals geglaubt, wenn er lieber von Polyaenus, einem seiner Bekannten, die Geometrie lernen wollen, als auch ihn selbst abzulehnen. Die Sonne scheint dem Demokrit groß, einem Menschen, der gebildet und in der Geometrie vollkommen ist, ihm scheint sie vielleicht einen Fuß breit; denn er meint, sie sei so groß, wie sie scheint oder ein wenig größer oder kleiner.

21.
So verdirbt er, was er ändert, das aber, was er verfolgt, ist völlig das Gedankengut Demokrits, nämlich die Atome, das Leere, die Bilder, die sie ™…dwla nennen, durch deren Zusammenstoßen wir nicht nur sehen, sondern auch erkennen; die Unendlichkeit selbst, die man ¢pe…ron nennt, ist völlig von ihm, dann die unzähligen Welten, die täglich entstehen und auch vergehen. Auch wenn das von mir keinesfalls gebilligt wird, würde ich dennoch nicht wollen, dass Demokrit, von den übrigen gelobt, getadelt wird, von dem dieser sich an ihn als einziger Gefolgsmann angeschlossen hatte.

22.
Schon im anderen Bereich der Philosophie, der als Wesenszug das Fragen und Erörtern hat, was man logik» nennt, ist der eurige da völlig unbewaffnet und bloßgestellt, wie es mir jedenfalls scheint. Er hebt die Definitionen auf; er lehrt nichts über das Teilen und Trennen; er überliefert nicht, wie ein Gedanke hervorgebracht und zu Ende geführt wird, auf welchem Wege Verfängliches gelöst wird, wie Zweideutiges unterschieden wird, zeigt er nicht; er stellt in den Sinn der Dinge Urteile auf, durch die er glaubt, dass, wenn einmal etwas Falsches anstatt etwas Wahrem gebilligt worden ist, jedes Urteil über wahr und falsch aufgehoben ist.

23.
Er bestärkt aber jenes ganz besonders, was die Natur selbst, wie jener sagt, weiß und prüft, das bedeutet die Lust und den Schmerz. Auf das bezieht er alles, dem wir folgen und wovor wir fliehen. Obwohl dies Kernaussage eines Aristipp ist und auch lieber und freier von den Kyrenaikern verteidigt wird, halte ich es dennoch für derartig, dass nichts dem Menschen unwürdiger scheint; denn die Natür hat uns zu manchen recht großen Dingen hervorgebracht und gestaltet, wie es mir scheint. Und es kann geschehen, dass ich mich irre; aber ich glaube es durchaus, dass dieser Torquatus, der diesen Beinamen als erster erfand, weder dem Feind jenes Joch abgenommen hat, damit er aus diesem Körper irgendeine Lust wahrnehmen könne, noch mit den Latinern im dritten Konsulat bei Veseris wegen einer Lust kämpfte. Wenn er ber mit dem Beil dem Sohn umbrachte, hat er sich anscheinend auch von vielen Lüsten befreit, weil er das Recht auf Hoheit und Macht der Natur selbst und der Vaterliebe vorzog.

24.
Was? T. Torquatus, der, der mit Cu. Octavius Konsul war, als er jene Strenge bei diesem Sohn anwandte, den er zur Adoption dem D. Silanus freigegeben hatte. Gesandte der Makedonen klagten ihn an, er habe als Prätor Geld in der Provinz angenommen, und der Vater zog ihn dafür zur Rechenschaft. Er hörte beide Seiten an, erklärte dann öffentlich, dass sich der Sohn auf seinem Posten anscheinend nicht so wie seine Ahnen verhalten habe, und verbot dann, dass er nicht mehr in sein Blickfeld kommen solle. Scheint er dir das zu seinem Vergnügen ausgedacht zu haben?“ „Aber um die Gefahren, Mühen und auch den Schmerz, den gerade die Besten für das Vaterland und die Ihrigen unternehmen, um nicht nur keine Lust zu fassen, sondern auch alle anderen auszulassen, weil er schließlich lieber jede beliebige Arbeit unternehmen als irgendeinen Teil seiner Pflicht zu verlassen, lasst uns zu dem kommen, was dies nicht weniger aufzeigt, aber von geringerer Bedeutung sind.

25.
Was bringt dir, Torquatus, was bringt diesem Triarius Literatur, was die Geschichte und die Erkenntnis der Dinge, was das Lesen der Dichter, was die so große Erinnerung an soviele Verse? Und du wirst mir wohl nicht sagen: „Denn gerade das macht mir Freude und jenes machte es den Torquaten.“ Niemals verteidigt Epikur dies so und auch nicht Metrodorus oder sonst jemand von denen, die entweder weise sind oder das gelernt hatten. Und was oft gefragt wird, warum so viele Epikureer sind, so gibt es auch andere Gründe, aber die Menge zieht besonders das an, weil angeblich es so von ihm gesagt wurde: was richtig und ehrlich sei, mache durch sich selbst Freude, das heißt Lust. Die besten Menschen aber sehen nicht ein, dass der gesamte Gedanke zerstört wird, wenn die Sache sich so verhielte. Denn wenn zugegeben werden würde, auch wenn es sich nicht auf den Körper bezogen wird, dass dieses von sich aus und durch sich angenehm sei, müsste man die virtus und die Erkenntnis der Dinge, was jener am wenigsten will, erstreben.

26.
„Das von Epikur billige ich also nicht“, sagte ich. „Was das Übrige anbelangt, würde ich es persönliche lieber wollen, dass er selbst in den Lehren entweder bewanderter gewesen wäre (er war nämlich, was dir auch so scheinen muss, nicht genug gebildet in jenen Künsten, bei denen die Meister, die sie beherrschen, gebildet genannt werden) oder dass er hätte anderen von den Studien nicht abgeschreckt. Jedoch sehe ich, dass du sehr wenig abgeschreckt wurdest.“ Als ich das gesagt hatte, sagte Torquatus, mehr um ihn zu reizen als selbst zu sprechen leicht lächelnd: „Du hast Epikur freilich fast ganz aus dem Reigen der Philosophen entfernt. Was hast du ihm übrig gelassen außer dass du verstehst, was er sagte, auf welche Weise auch immer er es sprach? Er sprach in der Physik Fremdes und nichts, was von dir gebilligt werden würde; wenn er etwas darin verbessern wollte, machte er es nur noch schlimmer. Er hatte nicht die Kunst des Erörterns. Obwohl er die Lust als höchstes Gut bezeichnete, sah er selbst darin zunächst zu wenig, dann war auch das fremd; denn das schrieb Aristipp davor und jener schrieb es besser. Am Ende hast du noch hinzugefügt, dass er sogar ungebildet war.“

27.
"Keinesfalls", sagte ich, "kann es geschehen, Triarius, dass du nicht sagst, was du von dem, von dem du abweichst, billigst. Denn was würde mich davon abhalten, Epikureer zu sein, wenn ich billigen würde, was jener sagt, da es ja einfach wäre, jenes gründlich zu lernen. Deswegen darf man den Tadel derer, die untereinander abweichen, nicht tadeln: Beschimpfungen, Beleidigungen, dann Jähzorn, Streit und hartnäckige Wettkämpfe beim Diskutieren scheinen mir gewöhnlich der Philosophie unwürdig zu sein."

28.
Da sagte Torquatus: "Ich stimme dir völlig zu; denn man kann weder ohne Tadel erörtern, noch mit Jähzorn oder Hartnäckigkeit richtig diskutieren. Aber, wenn es nicht lästig ist, habe ich meine Meinung zu diesem, was du sagtest."
"Glaubst du etwa", sagte ich, "dass ich dies gesagt hätte, wenn ich dies nicht hören wollte?" "Gefällt es also, diese gesamte Lehre Epikurs durchzunehmen oder über die eine Lust zu fragen, über die der ganze Streit geht?" "Das ist freilich nach deiner Meinung", sagte ich.
"So werde ich es machen", sagte er: "Ich werde eine Sache erklären, und zwar die wichtigste; über die Physik ein andermal und freilich werde ich die jene Abweichung der Atome und die Größe der Sonne plausibel machen so wie die vielen Dinge, in denen sich Demokrit irrte, und von Epikur getadelt und berichtigt wurde. Jetzt werde ich über die Lust sprechen, freilich nichts Neues, dennoch das, worauf ich vertraue, dass du es selbst billigen wirst."
"Sicher werde ich nicht hartnäckig sein", sagte ich, "und dir gerne zustimmen, wenn du mir plausibel machst, was du sagen wirst."