Die stoische Philosophie: Die Physik

Wer die Philosophie der Stoiker komplett verstehen möchte, muss zuerst bei ihrer Physik beginnen. Von der Weltvorstellung der Stoiker hängt alles andere ab:

Bei der stoischen Weltenvorstellung handelt es sich um eine materialistische Philosophie. Das heißt, dass für die Stoiker alles in irgendeiner Weise einen Körper hat: Himmel, Wolken, Menschen, Luft, selbst die Seele. Einiges davon können wir Menschen mit unserer beschränkten Sinn nicht als Körper wahrnehmen, aber durch Versuche versuchen sie regelmäßig zu beweisen, dass selbst Dinge, die wir als körperlos betrachten, tatsächlich einen Körper haben. Alles um uns ist von einer Weltvernunft umgeben, die der Grieche lógos, die Römer später ratio nennen. Philosophen der neuen Stoa gehen sogar noch einen Schritt weiter und betiteln diese Vernunft schlicht und einfach als deus, um das abstrakte Prinzip der ratio auch vorstellbar zu machen. Diese Weltenvernunft durchströmt alles und beseelt die Umgebung. Sie lenkt alle Geschicke auf der Welt nach einem übergeordneten Plan, den wir als Menschen nicht begreifen können. Diese Vorsehung, die uns von oben durch das Leben führt nennt man providentia, griechisch prónoia. Diese findet sich in der Natur (gr. phýsis) in jedem Objekt auf eine andere Weise. Wir Menschen erleben dieses von oben auf uns einwirkende Prinzip von unten betrachtet als Schicksal (fatum, griechisch heimarméne). Uns steht es uns frei, dieses entweder anzunehmen und ihm brav zu folgen oder uns dagegen zu wehren. Wer es annimmt, führt ein harmonisches Leben, weil er viele Schicksalsschläge als gottgegeben hinnehmen kann. An dieser ratio hat alles und jedes Lebewesen und Objekt Anteil. Soziale Grenzen kennt der Stoiker nicht, da auch ein Sklave diesen göttlichen Funken in sich trägt.
Aus diesem Weltbild erschließt sich auch die Ethik der Stoiker: Er strebt nach der vita beata, die darin besteht, sich dem göttlichen Walten, wie es in der natura der Fall ist, zu fügen und daran sein Leben auszurichten (secundum naturam vivere). Da es in der Natur des Menschen liegt, sich um sich und seine Mitmenschen zu kümmern, ist ein Dienst an der Gemeinschaft für ein glückliches Leben unabdingbar. Deswegen sind sie vor allem der Politik zugewandt - ganz im Gegenteil zu den Epikureern. Ein Handeln im Sinne der natura, die ja Manifestation der ratio darstellt, ist tugendhaftes Handeln (virtus). Diese Tugend sehen die Stoiker als das einzige höchste Gut an, das für sie mit honestum gleichgesetzt wird. Als höchstes Übel bezeichnen sie das Gegenteil turpe, das sittlich Verkommene, das man als Philosoph unbedingt meiden muss. Alles andere, was die Menschen positiv wie auch negativ von dem rechten Weg abbringen kann - also Tod, Krankheit, Zorn, Reichtum - ist weder gut noch böse, sondern gehört zu den so genannten adiaphora. Diese sind neutral zu bewerten und nur dann gefährlich, wenn man sich von ihnen in ein Extrem verführen lässt (z.B. Geld, das zu Habgier verleitet, oder Zorn, der zum Schaden an seinem gesamten Umfeld führt). Aus diesem Grund ist für den Stoiker eine gewissen Ausgeglichenheit von Nöten, um diese Gratwanderung hinzubekommen. Der Römer nennt dies temperantia oder moderatio.

21.5.2013