CICEROS "DE OFFICIIS"

Cicero über den Mensch und die Natur (Cic. Off. 1,11-14)

Am Anfang ist es jeder Art von Lebewesen zugeteilt, dass es sich, sein Leben und seinen Körper schützt, das, was schädlich erscheint, abwendet, und alles, was zum Leben notwendig ist, erwirbt und beschafft, wie z.B. Nahrung, einen Unterschlupf und anderes derartige. Ebenso ist allen Lebewesen ein Streben nach Verbindung gemeinsam, um sich zu fortzupflanzen, sowie eine gewisse Sorge um die, die geboren wurden. Aber zwischen Mensch und Tier besteht vor allem darin ein Unterschied, dass dieses, so wie es von sinnlicher Wahrnehmung angesprochen wird, allein auf das stützt, was gerade da und anwesend ist, wobei es aber ganz wenig über das Vergangene oder die Zukunft nachdenkt. Der Mensch aber, sieht, weil er der Vernunft teilhaftig ist, durch die er das Darauffolgende erkennt, die Ursachen der Dinge und deren Entwicklungen und kennt sehr wohl die Bedingungen, vergleicht Ähnlichkeiten und verbindet und knüpft den derzeitigen Dingen zukünftige an, sieht leicht den Lauf des gesamten Lebens und bereitet die notwendigen Dinge vor, um dieses zu verbringen. Durch die Kraft der Vernunft vereinigt dieselbe Natur den Menschen mit seinem Mitmenschen, stiftet eine Lebensgemeinschaft, und treibt vor allem eine außerordentliche Liebe denen gegen über, die geboren worden sind, sodass sie will, dass Treffen und Besuche von Menschen sowohl stattfinden als auch von ihr besucht werden, und wegen dieser Dinge danach strebt, dies zu bereiten, was zur Lebensweise und zum Lebensunterhalt ausreicht, und das nicht für sich allein, sondern für die Gattin, die Kinder und die Übrigen, die sich lieb hat und schützen muss.

Diese (Für-)sorge treibt auch die Geister an und macht sie größer, um diese Sache auszuführen. Ganz besonders ist dem Menschen die Wahrheitssuche und -erforschung eigen. Wenn wir deswegen frei sind von notwendigen Aufgaben und Sorgen, dann sind wir begierig danach etwas zu sehen, zu hören und dazuzulernen und wir halten die Erkenntnis der verborgenen und bewundernswerten Dinge für notwendig um glücklich zu leben. Daraus sieht man, dass das, was wahr, einfach und aufrichtig ist, der Natur des Menschen am geeignetsten ist. Dieser Begierde, die Wahrheit zu sehen ist ein gewisses Streben nach einem übergeordneten Prinzip inne, sodass ein gut geformter Geist von Natur aus niemandem gehorchen will, außer einem, der lehrt, unterrichtet oder wegen eines (Allgemein-)Nutzens gerecht und legitim befiehlt/herrscht; daraus entsteht Seelengröße und die Verachtung der irdischen Dinge.

Aber nicht gering ist jene Macht der Natur und der Vernnunft, dass nämlich dieses Lebewesen als einziges wahrnimmt, was Ordnung ist, was die Dinge sind, die sich schicken, und was das rechte Maß in Taten und Worten ist. Deshalb fühlt kein anderes Wesen von denen, die von sinnlicher Wahrnehmung angesprochen werden die Schönheit, die Anmutigkeit und die Wohlproportioniertheit der Dinge wahr. Indem die Natur und die Vernunft diese Ähnlichkeit von den Augen an den Geist übermitteln, glauben sie, dass die Schönheit, die Beständigkeit und die Ordnung in den Überlegungen und Taten sogar noch mehr bewahrt werden müssen und hütet sich davor, dass sie nichts unschlicklich oder verweichlicht tut und dann in allen Meinungen und Taten nichts willkürlich tut oder denkt. Aus diesen Dingen wird das gebildet und bewirkt, das wir suchen, nämlich das sittlich Gute, das wir, auch wenn es keine Anerkennung findet, dennoch ehrenhaft ist, und das wir wahrhaft als von Natur aus als lobenswert bezeichnen, auch wenn es von niemandem gelobt wird.