Ciceros "De finibus bonorum et malorum"
Der Mensch und das Glück (de fin. 3.27-29)
Alles, was gut ist, ist lobenswert. Aber alles, was lobenswert, ist ehrlich. Also ist das, was ehrlich ist, auch gut. Scheint diese Schlussfolgerung nicht schon genug? Sicherlich. Denn du siehst, dass in dem, was aus diesen beiden Voraussetzungen bewirkt wird, eine Schlussfolgerung besteht. Gegen die erste der beiden Voraussetzungen aber, aus denen sich die Schlussfolgerung ergibt, sagt man gewöhnlich, dass nicht alles Gute lobenswert ist. Denn man gesteht zu, dass das, was lobenswert ist, ehrlich ist. Jenes aber ist völlig widersinnig: Etwas sei gut, das nicht erstrebenswert ist oder etwas erstrebenswert, was nicht gefällig sei, oder, wenn es so sei, sei es nicht hochzuschätzen. Also sei es zu billigen. Also ist es auch lobenswert. Das aber ist ehrlich. So geschieht es, dass auch das, was gut ist, lobenswert ist.
Dann suche ich, wer sich über ein elendes oder unglückliches Leben rühmen könnte. Allein über ein glückliches Leben also (kann man sich rühmen). Daraus ergibt sich, dass ein glückliches Leben, um mich so auszudrücken, der Verherrlichung würdig ist, das zurecht nur einem glücklichen Lebenm gelingen kann. So geschieht es, dass ein ehrenhaftes Leben auch ein glückliches ist. Und da ja derjenige, dem es gelingt, zurecht gelobt zu werden, einen gewissen Vorrang an Glanz und Ruhm hat, sodass er wegen dem, was so groß, ist mit Recht als glücklich bezeichnet werden kann, wird auch dasselbe über das Leben eines solchen Mannes völlig zu Recht gesagt werden. Wenn das glückliche Leben durch seine Ehrenhaftigkeit gesehen wird, so muss das für das einzige Gut gehalten werden, was ehrlich ist.
Wie steht es jetzt also? Kann es auf irgendeine Weise bestritten werden, dass niemand, den wir als einen tapferen Mann bezeichnen, mit einem standhaften, starken und großem Geist entstehen kann, wenn für ihn nicht klar wäre, dass der Schmerz kein Übel ist? Wie nämlich jemand, der den Tod unter die Übel rechnet, nicht imstande ist, ihn nicht zu fürchten, so kann in dieser Hinsicht niemand um das, was beschlossenermaßen ein Übel ist, nicht kümmern und es verachten. Nachdem das festgesetzt und mit Zustimmung aller anerkannt worden ist, ergibt sich daraus folgendes, nämlich dass der, der von großem und tapferem Geist ist, alles, was dem Menschen zufallen kann, geringschätzt und für nichts erachtet. Weil das zutreffend ist, ergibt sich daraus, dass nichts ein Übel ist, was schändlich ist. Und dieser erhabene und herausragende Mann, mit großem Geist, wahrlich tapfer, der alles Irdische unterhalb von sich führt, dieser, sagte, den wir erreichen, nach dem wir suchen, darf auf sich selber, sein verbrachtes und folgendes Leben sicher vertrauen und über sich gut urteilen, im Wissen, dass einem Weisen nichts Schlechtes zustoßen kann. Daraus kann man eben dasselbe heraussehen: nämlich, dass nur das, was ehrenhaft ist, ein Gut darstellt und das bedeutet, glücklich zu leben: ehrenhaft, das heißt, mit Tugend, zu leben.