Ciceros "De finibus bonorum et malorum"

Epikurs ethischer Grund-Satz und seine Herleitung (I, 29-31)

29.
"Ich werde es tun", sagte er, "wenn du von jener Gerechtigkeit bist, die du zeigst. Aber ich will lieber eine durchgehende Rede benutzen als zu fragen oder gefragt zu werden.
"Ganz, wie es gefällt", sagte ich.
Dann begann er zu reden. "Zunächst also", sagte er, "werde ich so verfahren, wie es dem Begründer dieser Lehre selbst gefällt: ich werde feststellen, was und wie es beschaffen ist, wonach wir fragen, nicht dass ich glaube, ihr wüsstet das nicht, sondern damit die Rede mit Vernunft und geordnet weitergeht. Wir fragen also, was das letzte und äußerste Gut ist, dass nach Meinung aller Philosophen so beschaffen sein muss, dass es in Ordnung geht, dass alles darauf bezogen wird, es selbst aber niemals.


30.
Das legt Epikur in die Lust. Sie soll nach seinem Willen das höchste Gut sein und das höchste Übel sei der Schmerz. Und er unterrichtet, es so zu lehren: jedes Lebewesen erstrebe die Lust und, wenn es einmal geboren sei, freue sich daran wie an einem höchsten Gut, den Schmerz wie das größte Übel verschmähe es und weise es, wie sehr man es kann, zurück und solange es noch unverdorben sei und die Natur selbst noch ihr unbestechliches und ursprüngliches Urteil spreche. Deshalb meint er, dass Vernunft und Diskussion dafür nicht nötig sei, weshalb die Lust erstrebt, der Schmerz aber vermieden werden müsse: er meint, das fühle man, wie man fühlt, dass Feuer heiß ist, der Schnee weiß und der Honig süß. Dafür müsse man nichts mit ausgesuchter Vernunft bestärken, es sei genung, sich nur daran zu erinnern. Denn zwischen Beweis und logischer Folgerung und zwischen geringer Beobachtung und Erinnerung gebe es einen Unterschied: die eine öffne verborgene als ob eingehpllte Dinge, die andere zeige sichtbare und eröffnete Dinge an. Denn da einem Menschen, der seiner Sinne beraubt wurde, nichts mehr bleibt, muss beurteilt werden, was gemäß der Natur ist, was dagegen oder was von der Natur ist. Das, was man wahrnimmt oder beurteilt, wohin etwas strebt oder flieht, ist das etwas anderes als Lust und Schmerz?