CICEROS "DE FINIBUS BONORUM ET MALORUM"
Das Prooemium (1-12)
1.
Ich wusste sehr wohl, Brutus, als ich das, was die Philosophen mit den höchsten
Begabungen und ausgesuchter Gelehrsamkeit auf Griechisch behandelt hatten, ins
Lateinische zu übertragen versuchte, dass diese meine Arbeit auf verschiedene
Kritik treffen würde. Denn manchen, und auch denen, die nicht einmal sehr
ungebildet sind, missfällt es völlig, Philosophie zu betreiben. Manche
aber tadeln nicht das so sehr, wenn es lockerer behandelt wird, sondern glauben,
dass eine so große Mühe und soviel Arbeit hineingesteckt werden dürfe.
Es werden auch die sein und diese sind in der griechischen Sprache freilich
gebildet, verachten aber das Lateinische, die sagen, sie wollten ihre Mühe
lieber für das Lesen des Griechischen aufwenden. Zuletzt vermute ich, dass
es irgendwelche Leute geben wird, die mich zu anderen Wissenschaften rufen und
sagen, dass diese Art zu schreiben, auch wenn sie elegant ist, dennoch nicht
meiner Persönlichkeit und Ansehen gemäß sind. Gegen diese allein
glaube ich, kurz reden zu müssen.
2.
Freilich ist den Tadlern der Philosophie genug in diesem Buch geantwortet worden,
durch das von uns die Philosophie verteidigt und sehr gelobt worden ist, während
sie von Hortensius angeklagt und getadelt wurde. Weil dieses Buch sowohl von
dir als auch von denen gebilligt zu werden scheint, die ich glaube beurteilen
zu können, habe ich vieles unternommen, in Furcht, den Eifer der Menschen
anscheinend zu bewegen, aber doch nicht halten zu können.
Wer aber dennoch will, dass es ziemlich gemäßigt geschieht, wenn
dies besonders gefallen sollte, fordert eine schwierige Mäßigung
darin, was, wenn einmal zugelassen, nicht gezügelt oder zurückgehalten
werden kann, so dass wir beinahe jene für gerechter halten, die gänzlich
von der Philosophie abraten als diese, die den unendlichen Dingen ein Maß
auferlegen und bei einer Sache, die je größer, desto besser sie sind,
Mäßigung wünschen.
3.
Denn sei es dass man zur Weisheit gelangen kann, dann darf sie von uns nicht
nur bereitet, sondern auch genossen werden. Sei es, dass es schwierig ist, gibt
es dennoch keine Art, die Wahrheit zu untersuchen außer du hast sie gefunden
und die Ermüdung des Nachfragens wäre hässlich, weil das, wonach
man fragt, das Schönste ist. Wenn es mich allerdings erfreut, wenn ich
schreibe, wer ist dann so neidisch, dass er mich davon abbringen wolle? Wenn
ich aber Mühe dabei aufwende, wen gibt es dann, der ein Maß für
fremden Fleiß beschließt? Denn wie der Chremes von Terenz nicht
unmenschlich ist, weil er nicht will, dass der neue Nachbar gräbt, pflügt
oder etwas trägt (er schreckt jenen nämlich nicht vom Fleiß,
sondern von entwürdigender Mühe), so sind jene neugierig, die mein
mir kaum unangenehmes Werk beleidigt.
4.
Also ist es schwieriger, jenen Genüge zu tun, die sagen, sie hassen lateinische
Schriften. Bei diesen ist das zuerst, worin ich mich wundern sollte, die Tatsache,
warum diese in anspruchsvollsten Sachen die Muttersprache nicht erfreut, obwohl
dieselben lateinische Fabeln lesen, die aus dem Griechischen wörtlich übersetzt
sind, und das nicht einmal ungern tun. Denn wer wäre denn dem römischen
Namen so feindlich gesonnen, dass er die Medea des Ennius oder Antiope von Pacuvus
verschmäht oder zurückweist, weil er angeblich von denselben Stücken
des Euripides erfreut wird, die lateinische Literatur aber hasst? Soll ich,
sagte er, lieber die Synepheben des Caecilius oder die Andria von Terenz als
beides von Menander lesen?
5.
Von diesen unterscheidet sich meine Meinung so, dass ich obwohl Sophokles Elektra
wohl bestens geschrieben hat, glaube, dass man dennoch eine schlecht übersetzte
Version von Atilus lesen müsse. Dennoch ist es ein Zeichen von träger
Lahmheit oder feinster Überheblichkeit, bei unseren Dichtern völlig
ungebildet zu sein. Mir scheint freilich niemand gebildet genug zu sein, dem
unsere Werke unbekannt sind. Oder lesen wir "Wenn doch nicht im Walde"
nichtsdestolieber als das entsprechende auf Griechisch, was aber über das
gute und glückliche Leben von Plato diskutiert wurde, das gefällt
nicht, auf Lateinisch erklärt zu werden?
6.
Wie? Wenn wir nicht das Amt der Übersetzer erledigen, sondern das im Auge
haben, was von denen gesagt wurde, die wir prüfen und ihnen unser Urteil
und unsere Gliederung beim Schreiben anfügen, was haben Leute dann noch
für einen Grund, dass sie Griechisches dem vorziehen, was einerseits glänzend
gesagt wurd, andererseits nicht einfach aus dem Griechischen übersetzt
ist? Denn wenn sie sagen sollten, diese Dinge seien von jenen behandelt worden,
dann gibt es nicht einmal bei den Griechen einen Grund, soviele von ihnen zu
lesen, wie gelesen werden müssten. Denn was ist von Chrysippos bei den
Stoikern übersehen worden? Dennoch lesen wir Diogenes, Antipater, Mnesarchus,
Panaetium und viele andere, besonders unseren vertrauten Poseidonios. Wie? Erfreut
Theophrast gering, wenn er Bereiche behandelt, die von Aristoteles davor behandelt
worden sind? Wie? Hören die Epikureer etwa auf, über dasselbe, worüber
auch von Epikur geschrieben worden ist und den alten Vertretern sener Lehrer,
ihre Meinung zu schreiben? Wenn aber Griechen von Griechen gelesen werden, über
dieselben Dinge, die auf eine andere Art dargestellt sind, was ist dann der
Grund warum unserer Schriftsteller nicht von uns nicht gelesen werden?
7.
Wenn ich Plato oder Aristoteles freilich so übersetzen würde wie unsere
Dichter Theaterstücke, würde ich mich meiner Ansicht nach schlecht
um meine Mitbürger verdient machen, wenn ich jene göttliche geniale
Ideen zu deren Kenntnis brüngen würde. Aber das habe ich bis jetzt
nicht gemacht, glaube aber dennoch nicht, dass es mir verboten ist, es nicht
zu tun. Freilich werde ich manche Stellen, wenn es mir so scheint, übertragen
und besonders von denen, die ich eben genannt habe, wenn es passiert, dass es
geeignet geschehen kann, wie es gewöhnlich Ennius mit Homer und Afranius
mit Menander hielt.
Wie unser Lucilius werde ich mich nicht protestieren, dass alle meine Werke
lesen. Ob gäbe es noch jenen Persius! Aber auch Scipio und ganz besonders
Rutilius; weil jener deren Urteil fürchtete, sagte er, er schreibe für
die Tarentiner, Consentiner und Sizilier. Die war freilich ein Witz, sowie anderes;
aber damals waren sie nicht so gelehrt, dass er sich im Hinblick auf deren Urteil
große Mühe geben müsse und dessen Schriften sind recht leicht,
so dass die höchste Witzigkeit in ihnen, aber nur geringe Lehrsamkeit erscheint.
8.
Wen soll ich aber also als Leser fürchten, wenn ich es wage dir zu schreiben,
der in der Philosophie nicht einmal den Griechen weicht? Freilich mache ich
das, von dir selbst dazu angeregt, mit dem Buch, das mir äußerst
angenehm ist, das du mir über die Tugend geschickt hast.
Deshalb aber kommt es aber meiner Meinung nach bei einigen dazu, dass sie vor
dem Lateinischen zurückschrecken, weil sie an so einiges Ungebildetes und
Schreckliches geraten sind, nach schlechten griechischen Vorlagen geschrieben,
die Lateinisch noch schlechter sind. Denen aber stimme ich zu, solange sie nur
meinen, dass über dieselben Dinge nicht einmal die Griechen gelesen werden
sollten. Aber wer sollte gute Dinge, die mit ausgewählten Worten gewichtig
und ausgeschmückt gesprochen werden, nicht lesen, wenn er nicht als völliger
Grieche gelten will, wie Albucius vom Praetor Scaevola in Athen gegrüßt
wurde.
9.
Gerade diese Stelle hat derselbe Lucilius mit viel Schönheit und jedem
möglichen Witz behandelt, bei der Scaevola vortrefflich sagt:
"Du wolltest, Albucius, lieber Grieche als Römer und Sabiner sein,
Bürger von Pontus, Tritanus, von Zenturionen herrlicher Menschen, Vorderen
und Feldzeichenträger. Also grüße ich dich in Athen als Prätor
auf Griechisch, wenn du mir kommst so, wie du es lieber wolltest: "Chaire
(für alle Nicht-Griechen: entspricht dem lateinischen "Salve".
Messy rettet und erleuchtet Leben...), Titus!" sprach ich, die Liktoren
und die ganze Schwadrone sagte: "Chaire, Titus!" Seitdem ist Albucius
mir ein Feind, ja sogar ein persönlicher Feind.
10.
Aber Mucius war im Recht. Ich aber kann mich nicht genug wundern, woher der
unverschämte Überdruss an einheimischen Dingen kommt. Freilich gibt
es hier überhaupt keinen Platz zum Belehren; aber ich meine so und habe
oft diskutiert, dass die lateinische Sprache nicht nur eine völlig makellose
Sprache, wie es die Masse glauben könnte, sondern ist sogar ausdrucksstärker
als das Griechische. Warum hat uns nämlich, ich meine die guten Redner
und Dichter, irgendein Schmuck wortreicher oder eleganter Ausdrucksweise gefehlt,
nachdem jedenfalls ein Vorbild zum Nachahmen da war? Wenn ich aber den Schutz
anscheinend, in den ich vom römischen Volk gestellt bin durch öffentliche
Arbeit, Mühen und Gefahren, verlassen habe, muss ich aber tatsächlich,
wie sehr ich es auch kann, auch darin arbeiten, damit meine Mitbürger durch
meine Arbeit, Eifer und Mühe gelehrter sind und nicht so sehr mit denen
kämpfen, die lieber Griechisch lesen wollen, wenn sie nur das selbst lesen
um nicht zu heucheln und denen dienen, die entweder beide Schriften gebrauchen
wollen oder, wenn sie die ihrigen haben, die anderen aber nicht so sehr vermissen.
11.
Wer aber lieber will, dass anderes von uns geschrieben wird, muss doch gerecht
sein, weil von mir schon viel geschrieben wurde, so dass ich jeden meiner Mitbürger
übertreffe und vielleicht wird von mir noch mehr geschrieben werden, wenn
die Lebenszeit ausreicht; und wer trotzdem das, was ich in Briefen anvertraut
habe, über die Philosophie zu lesen, angewöhnt hat, wird urteilen,
dass es nichts besseres zu lesen gibt als dieses. Denn was müsse im Leben
so sehr gefragt werden, als was alles in der Philosophie gefragt wird und dann
das, wonach man in diesen Büchern fragt. Nämlich was die Grenze, was
das Äußerste ist, was das letzte, woran alle Ratschläge des
guten Lebens und richtigen Handelns gemessen werden müssen, was die Natur
folgt als höchstes zu erreichende Gut, wovor sie als äußerstes
Übel flieht? Weil es deshalb unter den Gelehrtesten größte Uneinigkeit
gibt, wer glaubt da wohl, es sei unpassend von dessen Aussehen zu sein, das
mir jeder zuteilt, zu untersuchen, was in jeder Lebensaufgabe das Beste und
Wahrhaftigste sei?
12.
Oder soll unter führenden Staatspersönlichkeiten, P. Scaevola und
Manilius, erörtert werden, und von denen wird sich M. Brutus unterscheiden,
ob ein Kind einer Sklavin zur Nutznießung gehalten werden soll (dies ist
ein heikles Thema und zum Nutzen der Mitbürger nicht unnütz, und diese
und übrige Schriften dieser Art lesen wir gerne und werden wir weiterhin
lesen), aber das, was das ganze Leben zusammenhält, vernachlässigt
werden? Denn wenn jene verkäuflicher sind, sind diese aber sicherlich reicher.
Das zu beurteilen, wird freilich denen gefallen, die es gelesen haben. Ich aber
glaube, dass diese Frage über die Grenzen des Guten und Bösen von
mir ungefähr in diesem Buch erklärt worden ist, in dem ich nicht nur
verfolgt habe, was von mir geprüft wurde, und das so sehr wie ich es konnte,
sondern auch, was von einzelnen Lehren der Philosophie gesagt wurde.