CICEROS "DE NATURA DEORUM"
Kritik an den Theorien anderer Philosophen (1, 18-20)
(18) Da sagte Velleius ganz selbstsicher, wie sie es gewohnt sind, weil er nichts so sehr fürchtete wie den Eindruck zu machen, an irgendetwas zu zweifeln, auf eine Weise, als wäre er von der Versammlung der Götter und aus den Zwischenwelten Epikurs herabgestiegen: "Hört keine wertlosen und erfundene Meinungen, nichts von Platons Gott aus dem 'Timaios' als Schöpfer und Erbauer der Welt, nichts von einem alten Wahrsagerweib namens Pronoea, die man Lateinisch Providentia nennen darf, und vor allem nichts davon, dass die Welt, selbst mit einer Seele und Sinnen ausgestattet, ein kugelförmiger, brennender und kreisender Gott ist, denn das sind wunderliche Phantasieprodukte von Philosophen, die nicht diskutieren, sondern träumen.
(19) Mit welchen geistigen Augen nämlich konnte euer Plato diesen Bau eines so großen Werkes betrachten, durch das er die Welt von Gott erschaffen und erbauen ließ? Welche Vorrichtung, welche Werkzeuge, welche Hebel, welche Maschinen, welche Diener gab es für ein so gewaltiges Vorhaben? Wie konnten aber die Luft, das Feuer, das Wasser und die Erde dem Willen des Baumeisters nachkommen und gehorchen? Woher aber sind diese fünf Grundformen entstanden, aus denen das Übrige geformt wird, wobei alles so geeignet aufeinandertrifft, dass es den Geist anspricht und die Sinneseindrücke hervorruft? Es würde zu weit führen, auf alles einzugehen, was so ist, dass es eher erwünscht als erfunden scheint.
(20) Aber es ist der Gipfel, dass der, der eingeführt
hat, dass die Welt nicht nur entstanden, sondern auch noch in Handarbeit geschaffen
worden ist, auch noch sagt, dass sie ewig sei. Meinst Du vielleicht, dass dieser
an der physiologia, das heißt die Naturwissenschaft,- wie man so schön
sagt- nur genippt habe, so dass seiner Meinung nach das, was immer auch entstehen
möge, ewig sein könne? Welche Verbindung nämlich ist nicht auflösbar,
oder was gibt es, das zwar einen Anfang, aber kein Ende hat? Wenn aber Eure
Pronoia so wie Platons Gott ist, frage ich, wie schon kurz vorher, mein Lucilius,
nach den Dienern, Maschinen sowie der ganzen Einrichtung und dem Apparat für
dieses gesamte Werk; wenn sie aber anders ist, frage ich, warum sie die Welt
vergänglich,
und nicht, wie der Gott bei Plato, ewig gemacht hat.