QUINTUS HORATIUS FLACCUS
Horaz Satire II, 9
So war's ersehnt von den Göttern: ein
Stückchen Boden bescheiden,
wo sich ein Garten, dem Hause benachbart die ständige Quelle
und überdies etwas Wald sich befände. Sie haben es reicher,
haben es besser gemacht. Recht ist's, ich erbitte nichts weiter,
Sohn der Maia, als daß dies Geschenk du zu eigen mir machest.
Wenn ich vergrößert nicht hab das Vermögen mit unrechten Mitteln
und nicht verkleinern es will durch eigene Schuld oder Laster,
wenn ich nicht dumm dir mit solchem Gebet komm: "Wenn doch die nächste
Ecke hinzukäm, die jetzt dem Gütchen ungrade Form gibt!"
"Wenn mir das Glück einen Topf doch mit Silber zeigte, wie jenem,
der einen Schatz als Arbeiter fand, den Acker kaufte und eben
diesen bepflügt hat, reich geworden durch Hercules' Freundschaft",
wenn, was zur Hand, willkommen erquickt, so bete ich also:
"Fett mach dem Herrn das Vieh und alles das übrige
außerhalb seiner Macht, und wie sonst, steh bei mir als sicherster Hüter".
Also sobald ins Gebirg und die Burg aus der Stadt ich gezogen,
was soll zuerst in Satiren und niederer Muse ich feiern?
Dort reibt auf nicht der schlimme Betrieb, nicht der bleierne Südwind
noch der bedrückende Herbst, die Geschäftszeit des bitteren Sterbens.
O Matutinus - und sei's, daß 'Janus' du lieber, o Vater,
hörst, - mit dem der Mensch die ersten Mühen des Schaffens
und des Lebens beginnt - das ist Götterbeschluß -, sollst des Liedes
Anfang sein. In Rom überfällst du als Bürgen mich: "Auf
du,
daß nicht etwa einer früher der Pflicht nachkomme, beeil dich!"
Sei's, daß der Nord den Boden fegt, ob der Winter in engstem
Bogen den Schneetag emporzieht, man geht, es gibt keinen Ausweg.
Dann, wenn was schadet vielleicht mir, ich laut und sicher gesprochen,
muß im Gewühl ich mich schlagen und Unrecht den Langsamen antun.
"Bist du verrückt?", und "Was willst du?" Der Flegel
bedrängt mich mit bösen
Flüchen: "Du willst wohl, was tritt in den Weg dir, alles vertreiben,
wenn zu Maccenas du läufst, an weiter nichts denkend als diesen?"
Das macht Freude, ist süß, um die Wahrheit zu sagen. Doch komm ich
dann zu dem Schreck Esquilin, so schwirren um Kopf und die Seiten
Hunderte fremder Geschäfte zuhauf. "Dein Roscius bat dich,
bei ihm zu stehn vor der zweiten Stunde am Puteal morgen."
"Quintus, die Schreiberzunft bat, du möchtest gedenken zu kommen
heute zurück in gemeinsamer neuer bedeutsamer Sache."
"Sorge dafür, daß Maecenas hier auf die Tafeln sein Siegel
drückt!" "Wenn du's sagst, ich versuch's." "Willst,
kannst du's", versetzt und bedrängt er.
Näher dem achten entfloh wohl das siebente Jahr schon seit damals,
als mich Maecenas begann, in die Zahl der Seinen zu rechnen,
freilich nur zu dem Zweck, daß bei Reisen den Wunsch, mitzunehmen
auf sein Gefährt mich, er hatt' und mir anzuvertraun Bagatellen
folgender Art: "Wie spät?" "Ist der Thraker Gallina dem
Syrus
gleich?" "Sieht vor man sich nicht, so beißt schon die Kühle
des Morgens!"
und was man sonst in ein rissiges Ohr bedenkenlos eingibt.
Alle die Zeit hindurch war von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde
ausgesetzter dem Neid unser Dichter. Gemeinsam die Spiele
hatte geschaut, auf dem Marsfeld gespielt er: "Ein Glückskind!"
so alle.
Sickert ein Schauergerücht von den Rostra hindurch in den Vierteln,
wer mir begegnet, befragt mich: "Mein Lieber - denn du mußt es wissen,
da an die Götter du näher heranreichst -, hast von den Dakern
du nicht vielleicht gehört?" "Nein, nichts." "Was bist
du doch immer
für ein Schalk!" "Es sollen sämtliche Götter mich strafen,
wenn ich es weiß!" "Wie steht's: die dem Heere versprochenen
Güter:
will auf Italiens Grund sie Caesar oder sizilischem geben?"
Schwör ich, ich wisse von nichts, bestaunen natürlich mich alle
als einen Mann sondergleichen, von tiefer, erlesner Beherrschung.
So zerrinnt mir Armen der Tag, nicht ohne daß fleh ich:
wann werd erblicken ich dich, mein Gütchen, wann wird es erlaubt sein,
bald mit den Büchern der Alten, mit Schlaf bald und müßigen
Stunden
wohlig Vergessen zu schlürfen von Unrast und Ängsten des Lebens?
Wann endlich kommt auf den Tisch die Bohne, Pythagoras' Schwester,
und dazu das mit fettem Specke getränkte Gemüse?
O ihr Nächte, ihr Göttermähler, die ich allein mit den Meinen
vor dem Laren verzehr und womit ich das lose Gesinde füttre,
nachdem vor dem Speisen geopfert! Wie jeder nur Lust hat,
leert er die ungleichen Becher, ein Mitzecher, frei von verrückter
Satzung, ob kräftig er greift nach scharfen Pokalen, ob heitrer
sich mit geringen begießt er. Folglich erhebt ein Gespräch sich also,
nicht über Villenbesitz und die Häuser der andern,
nicht ob gut oder schlecht tanzt Lepos; was näher uns angeht,
nicht zu verstehen ein Unglück, verhandeln wir dann: ob durch Reichtum
glücklicher werden die Menschen, ob glücklich eher durch Gutsein,
was zu der Freundschaft uns zieht, der Nutzen oder das Rechte,
was das Wesen des Guten sei und von diesem das Höchste.
Cervius, wie sich's ergibt, der Nachbar, schwatzt unterdessen
Großmuttermärchen. Lobt nämlich einer Arellius' prekären
Reichtum ohne Verstand, hebt an er: Vorzeiten soll einmal
in ihrem ärmlichen Loch eine Landmaus empfangen die Stadtmaus
haben, ein alter Wirt einen alten Freund, voller Kanten
und aufs Erworbne bedacht, doch so, daß den knausrigen Sinn sie
lockerte für einen Gast. Was bedarf's vieler Worte? Sie sparte
weder zur Seite gelegte Erbsen noch länglichen Hafer,
trockene Trauben im Mund und halbgegessene Bissen
Speckes brachte heran sie und gab sie, im Wunsch, die Verwöhntheit
mit einem bunten Mahl zu besiegen der kaum mit dem stolzen
Zahne am einzelnen Nippenden, während gestreckt auf die frische
Streu die Herrin des Hauses Dinkel und Spelt aß, das Beßre
lassend des Mahls. Zu ihr sagt schließlich die Stadtmaus "Was freut's
dich,
Freundin, geduldig zu wohnen am Kamm des steilen Gebirges?
Willst du Menschen und Stadt dem wilden Gebirgswalde vorziehn?
Wandre die Straße mit mir, glaub mir, da sterbliche Seelen
alles, was irdisch, erlost hat und weder dem Großen noch Kleinen
Flucht vor dem Tode besteht: drum, Beste, solang es erlaubt ist,
lebe beglückt und reich in Umständen, die dir gefallen,
sei dir bewußt, von wie kurzem Leben du bist." Diese Worte
trafen die Landmaus, und gleich entspringt sie hurtig dem Hause.
Drauf machen beide den Weg, der geplant, begierig, noch nächtens
nahe zu rücken den Mauern der Stadt. Schon hatte die Nacht die
Mitte des Himmels besetzt, als beide betreten ein reiches
Haus, wo, mit rotem Scharlach gefärbt, in leuchtendem Glanze
Decken schimmerten hell auf elfenbeinernen Lagern
und wo vom prächtigen Mahl noch übrig zahlreiche Gänge
waren von gestern, versteckt in hochgeschichteten Körben.
Kaum, daß sie also die Landmaus bequem sich auf purpurne Decke
strecken gelassen, da läuft sie umher, eine eifrige Wirtin,
reiht auf Gang an Gang, und wie dienstbare Geister versieht sie
deren Dienst und nascht an allem, was sie heranträgt.
Die auf dem Lager erfreut das veränderte Los, und bei guten
Dingen spielt sie den frohen Gesellen, als plötzlich der Angeln
mächtiges Knarren der Türen sie beide verscheucht von den Lagern.
Laufen dahin durch das ganze Gemach voll Angst und noch stärker
zittern entsetzt sie, als jetzt das hohe Gebäude von Hunden
schallt, von Molossern. Die Landmaus erwidert darauf: "Ich bedarf nicht
solchen Lebens!" und "Lebe jetzt wohl! mein Wald und die Höhle
werden vor Hinterhalt sicher mich trösten mit einfachem Wildkorn."
1. 3. 2004. Endlich hat jemand das Mammutwerk auf sich genommen! Danke, Billie M!