TITUS LIVIUS' "AB URBE CONDITA"

Coriolan (2, 39)

Da kommen die ehrbaren Frauen bei Coriolans Mutter Veturia und seiner Ehefrau Volumnia zahlreich zusammen. Ich kann nicht sicher ermitteln, ob dies ein öffentlicher Beschluss oder die Furcht der Frauen (wö.: weibliche Furcht) war: Mit Sicherheit erreichten sie, dass sowohl Veturia, eine betagte Frau, und Volumnia, die von Coriolan zwei kleine Söhne mit sich trug, in das Lager der Feinde gingen, und die Frauen, weil sie die Stadt mit den Waffen eines Mannes nicht verteidigen konnten, mit Bitten und Tränen verteidigten. Sobald man zum Lager gekommen und dem Coriolan gemeldet worden war, dass eine riesige Schar an Frauen da sei, war dieser zuerst noch viel beharrlicher gegen die Tränen der Frauen, da er ja weder durch die öffentlich bekannte Hoheit bei den Gesandten noch bei den Priester dadurch bewegt worden war, dass seinen Augen und seinem Geist eine so große religiöse Weihe entgegen trat; darauf sprach einer seiner Diener, der unter den übrigen (Frauen) Veturia, die aufgrund ihrer Trauer herausstach, erkannt hatte: "Wenn mich meine Augen nicht täuschen, sind für dich deine Mutter, deine Ehefrau und deine Kinder da." Als Coriolan, der beinahe wie von Sinnen aus seinem Sitz aufgeschreckt worden war, seine Mutter umarmen wollte, antwortete ihm die Frau, bei der sich die Bitten in Zorn gewendet hatten: "Lass es mich wissen, ob ich zu einem Feind oder zu einem Sohn gekommen bin, bevor ich deine Umarmung annehme, ob ich eine Mutter oder eine Gefangene in deinem Lager bin. Hat mich das lange Leben und das unglückselige hohe Alter so weit gezogen, dass ich dich Verbannten nun auch noch als Feind sehe? Konntest du diese Erde hier verwüsten, die dich hervorgebracht und genährt hat? Ist dir nicht der Zorn geschwunden, als du dieses Gebiet betreten hast, ganz egal wie sehr du mit einem feindlichen und drohenden Geist hier ans Ziel gelangt warst? Dir ist nicht in den Sinn gekammen, als Rom in deinem Blickfeld war: Innerhalb jener Mauern sind mein Haus und meine Hausgötter, die Mutter, die Ehefrau und deine Kinder? Wenn ich dich also nicht auf die Welt gebracht hätte, würde Rom (jetzt) nicht angegriffen werden; wenn ich keinen Sohn hätte, wäre ich als freie Frau in einer freien Heimat gestorben. Aber ich kann für mich nichts mehr Elenderes erleiden noch für dich irgendwo etwas Schändlicheres, noch werde ich, egal wie unglücklich ich nun auch bin, das nicht lange sein: Du schaust auf die, denen entweder ein frühzeitiger Tod oder eine lange Sklaverei bleibt, wenn du so weitermachst." Darauf brachen die Ehefrau und die Kinder, die ihn unarmten, das Weinen, das von der gesamten Menge an Frauen angestimmt worden war und das Wehklagen über sich und die Heimat den Mann. Nachdem er sie alle umarmt hat, entlässt er die Seinen anschließend: Er selbst bewegte das Lager von der Stadt weg.

26.11.2013