TITUS LIVIUS' "AB URBE CONDITA"
Die secessio plebis (2, 32-33)
32(2)
Nachdem dies gemacht worden war, wurde der Zwist beschleunigt. Man sagte, dass
man zuerst über den Mord an den Konsuln verhandelt, damit sie vom Treueeid
gelöst werden; sie seien darauf unterrichtet worden, dass keine religiöse
Verpflichtung durch ein Verbrechen gelöst werde,
und ohne Auftrag der Konsuln auf Veranlassung des Sicinius auf den Heiligen
Berg, gewandert- der ist jenseits den Stromes Anio, 3 Meilen entfernt von der
Stadt;
(3) diese Überlieferung ist häufiger als die, von der Piso der Urheber
ist, nämlich dass sie auf den Aventin ausgewandert seien;
(4) dort hielten sie sich ohne irgendeinen Führer einige Tage lang, ruhig
ohne irgendeinen Führer nach Verschanzung des Lagers mit Wall und Graben,
auf und verbrauchten nur das zum Leben Notwendigste, weder herausgefordert noch
herausfordernd.
(5) Eine ungeheure Angst herrschte in der Stadt, und alles war durch die gegenseitige
Furcht ungewiss. Die von den Ihrigen verlassene Plebs fürchtete die Gewalt
der Patres; die Patres fürchteten die in der Stadt gebliebene Plebs - unsicher,
ob sie lieber bleiben oder weggehen solle:
(6) Wielange aber werde die Menge, die ausgewandert ist, ruhig sein? Was werde
dann sein, wenn unterdessen irgendein auswärtiger Krieg entstehen sollte?
(7) Man glaubte, dass nur in der Eintracht der Bürger eine Hoffnung übrig
sei; diese müsse um jeden Preis vom Staat wiedergewonnen werden.
(8) Somit beschloss man also, dass der Unterhändler Menenius Agrippa zur
Plebs geschickt werde, ein redegewandter Mann, der noch dazu beim Volk beliebt
war, weil er aus ihm stammte. Man sagt, dass dieser, nachdem er ins Lager geschickt
worden war, nichts anderes als folgende Worte auf jene alte und drastische Weise
erzählt habe:
(9) In einer Zeit- in der im Menschen nicht wie heute alle Glieder einträchtig
gewesen seien, sondern die einzelnen Glieder jeweils ihren eigenen Plan und
ihre eigene Stimme hatten, hätten sich die übrigen Teile entrüstet,
dass alles durch ihre Sorge, Mühe und Dienst für den Magen
zusammengesucht werde, der Magen aber in der Mitte ruhe und nur die ihm gegebene
Lust genieße.
(10) Darauf hätten sie sich verschworen, dass die Hand die Speise nicht
zum Mund führen, und weder der Mund das Gegebene annehmen, noch die Zähne
es zerkauen sollten. Durch diesen Zorn sei es, während sie den Magen doch
durch Hunger bändigen wollten, zur äußersten Entkräftung
der einzelnen Glieder selbst und des ganzen Körpers zusammen gekommen.
(11) Daher sei es deutlich geworden, dass auch der Dienst des Magens nicht träge
sei und nicht mehr ernährt werde, als er ernähre, indem er das durch
die verdaute Speise angereichterte Blut in alle Teile des Körpers zurückgebe,
durch das wir leben und stark sind, gleich verteilt in die Adern.
(12) Indem er davon ausgehend eine Parallele zog, wie ähnlich der innere
Aufstand des Körpers dem Zorn der Plebs auf die Patres sei, habe er die
Geister der Menschen umgestimmt.
33(1) Dann begann man, über die Eintracht zu verhandeln
und man einigte sich auf Bedingungen, dass dem Volk seine eigenen unantastbaren
Beamten sein sollten, die das Beistandsrecht gegenüber den Konsuln hatten,
und dass es niemandem der Patres erlaubt sei, dieses Amt zu bekleiden.
(2) So wurden zwei Volkstribunen gewählt, C. Licinius und L. Albinius;
diese wählten sich drei Amtskollegen. Unter ihnen war Sicinius, der Urheber
des Aufstandes; über die Identität der anderen zwei herrscht weniger
Übereinstimmung.
Update am 17.11.2013