CARMINA BURANA
Carmen CXCI: Die Vagantenbeichte
Vor heftigem Zorn in Innerem kochend
spreche mit meinem Herzen in Bitterkeit.
Entstanden aus dem Stoff eines leichten Elements
bin ich einem Blatt ähnlich, mit dem die Winde spielen.
Denn während es Eigenart für einen
weisen Mann ist,
auf einem Felsen einen festen Sitz zu legen,
bin ich einem fließenden Fluss ähnlich,
der niemals unter der selben Luft verharrt.
Ich treibe dahin, wie ein führerloses
Schiff,
so wie ein umherschweifender Vogel durch die Wege der Luft fliegt;
mich halten keine Fessel, mich hält kein Riegel,
ich suche mir ähnliche und schließe mich den Schlechten an (bzw.
"werde angeschlossen").
Die Last des Herzens scheint mir eine schwierige
Sache,
der Scherz ist liebenswürdig und süßer als Honigwaben.
Was auch immer Venus befiehlt, die Mühe, die niemals
in den trägen Herzen inne wohnt, ist angenehm.
Ich schreite auf einer breiten Straße
nach Sitte der Jugend,
ich verwickle mich in Fehler, ohne Erinnerung an die Tugend,
begierig nach Vergnügen mehr als nach Wohlergehen,
sorge ich mich -im Herzen tot- (nur) um das leibliche Wohlergehen.
Erhabener Bischof, ich bitte dich um Nachsicht,
ich sterbe einen guten Tod, ich werde durch einen süßen Tot umgebracht,
die Zierde der Mädchen verwundet meine Brust,
und mit denen, die ich nicht berühren kann, schlafe ich wenigsten in Gedanken.
Die schwierigste Sache ist, die Triebe zu
besiegen,
im Anblick der Jungfrau von reiner Gesinnung zu sein;
Wir Jugendlichen können keinem harten Gesetz folgen
und Sorge um die jugendlichen Körper tragen.
Wer soll nicht verbrannt werden, wenn er
im Feuer liegt?
Wer soll für keusch gehalten werden, wenn er in Pavia verweilt,
wo Venus die Jungendlichen mit dem Finger jagt,
mit den Augen umgarnt und in der Schlacht erbeutet?
Wenn du heute Hippolytus nach Pavia steckst,
wird er am nächsten Tag nicht mehr Hippolytus sein.
Alle Wege der Venus führen ins Schlafzimmer,
in so großen Türmen gibt es keinen Alethischen Turm.
Des zweiten werde ich auch des Spielens angeklagt,
aber das Glücksspiel zieht mich bis aufs Hemd aus (sogar noch weiter ;-)
äußerlich kühl, schwitze ich (innerlich) durch Hitze des Geistes;
dann schmiede ich Verse und bessere Lieder.
Im dritten Abschnitt erwähne ich die
Taverne:
sie habe ich zu keiner Zeit verschmäht und werde es je tun,
bis ich die heiligen Engel kommen sehe,
die für die Toten singen: "Ewige Ruhe".
Mein Vorsatz ist es, in der Kneipe zu sterben,
damit die Weine dem Gesicht des Sterbenden am nächsten sind;
dann werden die Engelschöre fröhlicher singen:
"Möge Gott diesem Säufer gnädig sein."
Das Licht des Geistes entzündet sich
durch die Becher,
das Herz fliegt, benetzt vom Nekar, gen Himmel.
Mir schmeckt der Wein aus der Kneipe süßer
als der, der vom Mundschenk des Bischofs mit Wasser vermischt wird.
Manche Dichter meiden öffentliche Örtlichkeiten
und wählen abgelegene Zufluchtsorten aus,
eifern, bemühen sich heftig, bleiben wach und arbeiten nicht wenig,
und könnnen kaum endlich ein berühmtes Werk vorweisen.
Die Chöre der Dichter fasten und bleiben
fern,
meiden öffentliche Streitigkeiten und Tumulte auf dem Forum,
und um ein Werk zu schaffen, das nicht sterben kann,
sterben sie im Eifer, der Arbeit hingegeben.
Jedem einzelnen gibt die Natur eine eigene
Gabe:
ich konnte niemals nüchtern schreiben,
nüchtern könnte mich jeder Junge besiegen.
Durst und Hunger hasse ich wie ein Begräbnis.
Jedem einzelnen gibt die Natur ein wesenhaftes
Geschenk:
wenn ich Verse verfasse, trinke ich guten Wein,
und das, was die Fässer der Wirte von der besten Sorte haben;
solch ein Wein hatte eine Menge an sprachlichen Wendungen hervorgebracht.
Welchen Wein ich trinke, so mache ich Verse,
ich könnte nichts michten ohne Einnahme von Speise;
Was ich nüchtern schreibe, ist überhaupt nichts wert,
Nach ein paar Bechern übertreffe ich Ovid.
Mir wird niemals ein Dichtergeist gegeben,
wenn der Magen davor nicht gut satt ist;
sooft Bacchus in der Festung meines Gehirnes herrscht,
stürzt Apollo in mich hinein und spricht Erstaunliches.
Siehe, ich habe mich meiner Schlechtigkeit
bekannt,
wegen denen mich deine Diener anklagen.
Aber von ihnen ist keiner ein Ankläger seiner selbst,
wie sehr sie auch spielen und die weltlichen Freuden genießen wollen.
In der Anwesenheit des glücklichen Bischofs
möge
schon jetzt gemäß der Regel, die der Herr erstellt hat,
derjenige einen Stein gegen mich werden und den Dichter nicht schonen,
dessen Herz sich keines Fehlers bewusst ist.
Ich habe gegen mich gesprochen, was auch
immer ich über mich weiß,
und das Gift ausgespeit, das ich so lange gehütet habe.
Das alte Leben missfällt, die neuen Sitten gefallen;
der Mensch sieht das Gesicht, aber das Herz steht Gott offen.
Schon liebe ich die Tugenden, zürne
den Fehlern,
im Herzen erneuert werde ich durch den Geist wiedergeboren;
wie eben hervorgebracht werde ich von der neuen Milch genährt,
damit mein Herz nicht weiter das Gefäß der Leere ist.
Erwählter von Köln, schone den
Büßenden,
erweise dem, der Nachsicht erstrebt, Barmherzigkeit,
und gib dem, der Schuld bekennt, Buße;
was auch immer du befiehlst, ich werde es mit willigem Geist (er)tragen.
Denn der Löwe, der König der wilden
Tiere, schont die Gehorsamen,
und vergisst den Gehorsamen gegenüber die Wutausbrüche;
und macht ihr dasselbe, Führer der Erden:
was keine Wonne hat, ist zu bitter.
Und? Seid Ihr jetzt geläutert ;-)
Ich auf alle Fälle. Amen!
Messy am 5. 8. 2000