OVIDS METAMORPHOSEN
Europa
Sobald
der Sohn der Atlastochter diese Strafen für seine unheilige Gesinnung und
Worte empfangen hatte, verlässt er das nach Pallus besagte Land und schreitet
in Richtung Aether mit schlagenden Flügeln. Diesen ruft der Göttervater
und nicht gestehend, der Grund sei Liebe, sagte er: "Oh treuer Diener meiner
Befehle, Sohn, halte dich nicht länger auf und gleite im gewohnten Flug schnell
hinab und das Land, das deine Mutter als Stern von der linken Seite sieht (die
Eingeborenen nennen es Sidonien), dorthin mache dich auf, und leite die Herde
des Königs zum Strand, die du ferne auf der Wiese am Berg weiden siehst.
Das sagte er und die Jungtiere, schon längst vom Berg vertrieben, begeben
sich zu dem befohlenen Strand hinab, wo die Tochter des großen Königs
gewöhnlich von Tyrischen Jungfrauen begleitet spielte.
Erhabenheit und
Liebe vertragen sich nicht gut und verweilen nicht gerne zusammen an einem Ort:
nachdem die Würde des Szepters zurückgelassen wurde, nimmt jener Vater
und Leiter der Götter, dem die Rechte mit dem dreizackigen Feuer bewaffnet
ist, der den Erdkreis mit einem Nicken erschüttert, die Gestalt eines Stieres
an und unter die Jungtiere gemischt, brüllt er und geht in Schönheit
in zarten Gräsern entgegen. Freilich ist er schneeweiß, den weder Spuren
eines starken Fußes gesohlt, nocht ein feuchter Südwind getrübt
hat. Die Muskeln schwellen den Hals, es hangt die Wamme vom Bug, die Hörner
zwar klein, aber man könnte meinen, sie seien von Hand gemacht und durchschimmernder
als ein reiner Edelstein. Nichts von Drohen auf der Stirn, kein furchterregender
Blick; seine Miene strahlt Ruhe aus; die Tochter von Agenor staunt, dass er so
schön ist, dass er keinen Kampf androhe; aber wie sehr sie auch den Sanften
fürchtet zuerst zu berühren, geht sie bald zu ihm, reicht ihm Blumen
an das glänzende Maul. Der Liebende freut sich und, während die erhoffte
Lust kommt, gibt Küsse mit der Hand. Kaum schon, kaum schiebt er das übrige
auf. Und nun bewegt er sich spielerisch heran und jauchzt im grünen Gras,
jetzt legt er die schneeweiße Seite auf den goldgelben Sand und nachdem
die Furcht allmählich geschwunden ist, zeigt er bald die Brust, um sie von
der Hand der Jungfrau streicheln zu lassen, bald die Hörner, um sie von neuen
Kränzen zu umwinden; die unwissende königliche Jungfrau wagte es auch,
sich auf den Rücken des Stieres niederzulassen, als der Gott die falschen
Spuren seiner Füße allmählich von der Erde und dem trockenen Strand
in die vordersten Wellen trägt; von dort geht er weiter und trägt seine
Beute mitten durch die Wogen des Meeres. Diese bekommt Angst und nach Verlassen
der Küste blickt sie zurück, hält das Horn mit der Rechten, die
andere wird auf den Rücken gelegt; die flatternden Gewänder bauschen
sich im Windhauch.
Messy am 1. 1. 2002