Prooemium (Iug. 1-4)
[1.] Fälschlicherweise klagt das Menschengeschlecht
über sein Wesen, dass es schwach und kurzlebig lieber zufällig als
von Tugend geleitet wird. Denn im Gegenteil findet man, wenn man es überdenkt,
dass es nichts Größeres und Vortrefflicheres gibt und es Natur der
Menschen mehr an Fleiß als an Kraft und Zeit fehlt. Aber der Führer
und Gebieter des Lebens der Sterblichen ist der Geist; dieser ist, sobald er
durch den Weg der Tugend zum Ruhm gelangt, im Überfluss mächtig, stark
und hell; sie bedarf keines Glückes, da sie Rechtschaffenheit, Fleiß
und andere gute Künste weder geben, noch jemandem entreißen kann.
Wenn er aber, von schlechten Begierden gefasst, zur Trägheit und körperlichen
Freuden hinab gedrückt worden ist, nachdem er ein Weilchen verderbenbringende
Lust benutzt hat, sobald Kräfte, Zeit und Begabung durch Untätigkeit
zerflossen sind, wird die Schwäche der Natur angeklagt. Die Verantwortlichen
übertragen ihre Schuld auf die Umstände. Wenn aber den Menschen eine
solche Sorge nach guten Dingen wäre, wie sie mit Eifer nach Freuden, Unnützem
und auch vielem Gefährlichen (und Verderblichen) streben, würden sie
mehr gelenkt werden als die Zufälle lenken und zu so einem Punkt an Größe
vordringen, wo sie anstatt Sterblichen durch Ruhm ewig werden würden.
[2.] Denn wie das Menschengelschlecht aus Körper und Geist zusammengestzt wurde, so folgen alle Dinge und jeder Eifer von uns einerseits dem Wesen des Körpers und andererseits der der Seele. Also wird das herrliche Gesicht, der große Reichtum und dazu die Körperkraft und alles andere derartige in Kürze vergehen; doch die hervorragenden Taten des Geistes sind, wie die Seele, unsterblich. Wie es schließlich für die Güter des Körpers und des Glücks einen Anfang gibt, so auch ein Ende und alles, was entsteht, geht zugrunde, was gefördert wird, wird alt: Der Geist, unverdorben und ewig, handelt als Lenker des Menschengeschlechts und hat alles, wird nicht selber beherrscht. Umso mehr muss man die Schlechtigkeit derer bewundern, die sich den körperlichen Freuden hingeben und die Jahre durch Verschwendung und Feigheit verleben, ihre Begabung im Übrigen, die in der Natur der Sterblichen das beste und bedeutendste ist, durch fehlende Pflege und Untätigkeit erstarren lassen, da es ja so viele, verschiedene Geisteskünste gibt, mit denen man sich höchste Berühmtheit bereitet.
[3.] Aber daher scheinen Ämter und Machtbefehle, schließlich jede Sorge um den Staat von mir sehr wenig erstrebenswert, da ja für die Leistung weder eine Ehre gegeben wird noch die, denen sie durch Betrug zuteil wurde, dadurch sicherer oder ehrenhafter sind. Denn mit Gewalt die Heimat oder die Eltern zu lenken, obwohl du es sowohl vermögen als auch die Vergehen berichtigen könntest, ist trotzdem brutal, da sie ja alle Änderungen der Umstände, Gemetzel, Flucht und andere feindliche Dinge vorhersagen. Vergeblich aber sich anzustrengen und nichts anderes als Hass zu ernten, wenn man sich darin erschöpft, ist ein Zeichen von äußerstem Wahnsinn; es müsste denn sein, dass diesen eine unehrenhafte und verderbliche Lust hält, seine Zierde und Ehre der Macht von wenigen zu opfern.
[4.] Im übrigen sind von den anderen Geschäften, die von einer großen Begabung ausgeübt werden, vor allem die Erinnerung an vollbrachte Taten nützlich. Weil viele über dessen Leistung geredet haben, glaube ich, dass man es auslassen muss, gleichzeitig, damit niemand meint, dass ich mein Werk durch Lob hervorhebe. Und ich glaube, dass es Leute geben wird, die, weil ich beschlossen habe, fern ab vom Staat mein Leben zu verbringen, so großer und nützlicher Mühe von mir den Begriff Tätigkeit aufbürden, gewiss die, denen es höchste Betriebsamkeit zu sein scheint, das Volk zu grüßen und durch Gastgelage die Gunst zu erwerben. Wenn diese aber überdenken, in welchen Zeiten ich die Ämterlaufbahn einschlug und welche Männer dasselbe nicht erreichen konnten und danach, welche Arten von Menschen in den Senat gelangt sind, werden sie tatsächlich glauben, dass ich mehr durch Verdienst als durch Trägheit das Urteil meines Geistes geändert habe und ein größerer Vorteil aus meiner Muße kommen wird, als aus den Staatsgeschäften anderer. Denn oft habe ich Q. Maximus gehört, P. Scipio, außerdem die vortrefflichen Männer unseres Staates, die es gewohnt waren, so zu sprechen: wenn sie die Bildung der Vorfahren betrachteten, werde ihnen der Geist zur Tugend aufs Heftigste entflammt. Freilich habe weder jenes Wachs noch dessen Gestalt so große Kraft in sich, sondern es wachse durch die Erinnerung an die Taten diese Flamme durch die hervorragenden Männer in der Brust und werde nicht eher beschwichtigt als die Tugend dem Ruhm und guten Ruf derer gleichgekommen ist. Doch wer hingegen von uns allen gibt es, der nicht mit Reichtum und Kosten, Rechtschaffenheit und Fleiß mit seinen Vorfahren kämpft? Ich kenne auch Menschen, die vorher durch die Tugend gewohnt waren, den Adel zu übertreffen, lieber heimlich und durch Räuberei als mit guten Eigenschaften zu Macht und Ehren gelangen; als ob die Prätur, das Konsulat und alles andere derartige von sich aus berühmt und vortrefflich ist und nicht ebenso gehalten wird, wie es die Leistung derer, die es aushalten, ist. Aber ich bin freier und höher vorgedrungen, während mich die Sitten des Staates verdrießen und anekeln. Nun kehre ich zu meinem Vorhaben zurück.