SENECAS "EPISTULAE MORALES"
Epistula LI
Diese Übersetzung ist Andreas Stegbauer
gewidmet, dem ich mit dieser Übersetzung hoffentlich die Versetzung gerettet
habe...
(1) Wie jeder kann, mein Lucilius: dort hast Du den Aetna, jenen hohen und berühmten Berg in Sizilien; warum Messala diesen einzigartig genannt hat, oder Valgius- denn bei beiden habe ist es gelesen- finde ich nicht heraus, weil sehr viele Plätze Feuer speien, nicht nur hohe, was häufiger vor kommt, offensichtlich weil das Feuer sehr in die Höhe steigt, sondern auch tief gelegene: wie wir es auch immer können, wir sind zufrieden mit Baiae, das ich am folgenden Tag nach meiner Ankunft verlassen habe, ein Ort, der deswegen vermieden werde muss, weil er einige natürliche Vorzüge hat, weil die Verschwendungssucht ihn sich ausersehen hat, um zu feiern.
(2) "Was also? Muss der Hass irgendeinem Ort ankündigt werden?" Keineswegs: aber wie irgendein Gewand einem weisen und tüchtigen mehr passt als irgendein (anderes), und jener nicht irgendeine Farbe hasst, sondern glaubt, sie sei zu wenig geeignet, nachdem man Genügsamkeit bekannt hat: so gibt es auch die Umgebung, die ein kluger Mann oder einer, der zur Weisheit hinstrebt, meiden soll wie eine dem guten Charakter fremde.
(3) Deshalb wird der, der über ein zurückgezogenes Leben nachdenkt, niemals Canopum auswählen, wenn Canopus auch es niemandem verbietet, rechtschaffen zu sein, nicht einmal Baiae: es hat begonnen, Herberge von Lastern zu sein. Dort erlaubt sich die Verschwendungssucht sehr viel, dort wird, als ob irgendeine Freizügigkeit dem Ort geschuldet werde, lässt man sich eher gehen.
(4) Nicht nur dem Körper, sondern auch dem Charakter sind wir es schuldig, einen heilsamen Ort auszuwählen: wie ich mich nicht unter Folterknechten aufhalten will, so will ich es nicht einmal in der Nähe von Kneipen. Was ist nötig, um Betrunkene zu sehen, die durch die Küsten irren, und Gelage von Segelnden und Seen, die vor den Klängen der Konzerte dröhnen und anderes, das die gleichsam von Gesetzen gelöste Verschwendungssucht sündigt, sondern auch zur Schau stellt?
(5) Das müssen wir tun, um vor den Reizmitteln der Laster so weit wie möglich zu flüchten: der Geist muss abhehärtet und von den Schmeicheleien der Lüste weit ferngehalten werden. Ein einziges Winterlager hat Hannibal gebrochen und die wärmenden Hüllen Kampaniens haben jenen Mann, der weder von Schnee noch von den Alpen in die Knie gezwungen worden war, entkräftet: mit Waffen hat er gesiegt, besiegt wurde er von den Lastern.
(6) Auch wir müssen Kriegsdienst leisten, und zwar in einer Art Kriegsdienst, in der niemals Ruhe, niemals Muße gegeben wird: besonders die Gelüste müssen bekriegt werden, die, wie du siehst, sich auch wilde Talente an sich gerissen haben. Wenn irgendjemand sich vor Augen führt, wieviel Mühe er auch sich genommen hat, wird er wissen, dass nichts schwächlich, nichts leicht gemacht werden darf. Was habe ich mit diesen Warmwasserbecken? Was mit den Schwitzbädern, in die trockener Dampf hineingeblasen wird, um die Körper zu erschöpfen? Jeder Schweiß soll durch Arbeit bewirkt werden.
(7) Wenn wir tun würden, was Hannibal gemacht hat, nämlich nach dem Unterbrechen des Laufes der Dinge und dem Aufgeben des Krieges sich mit dem Wärmen unserer Körper Mühe zu geben, würde jeder das unzeitige Faulenzen, das für den Sieger, ganz zu schweigen von dem um den Sieg Kämpfenden, gefährlich ist, verdientermaßen tadeln: es ist uns weniger als denen die den Punischen Zeichen folgten, erlaubt, für die, die weichen, bleibt mehr Gefahr, denen, die ausharren, sogar mehr Arbeit übrig.
(8) Mit mir führt das Schicksal Krieg: ich werde nichts (von ihm) Befohlenes tun; ich nehme das Joch nicht auf mich, im Gegenteil, was mit größerer Leistung gemacht werden muss, schüttele ich ab. Der Geist darf nicht erweicht werden: wenn ich der Lust weiche, muss man dem Schmerz weichen, der Arbeit und der Armut; dasselbe Recht will mir gegenüber sowohl Ehrgeiz als auch Zorn sein: ich werde zwischen so vielen Leidenschaften zerrissen, ja sogar zerstückelt werden.
(9) Die Freiheit ist in Aussicht gestellt; auf diese Belohnung arbeitet man hin. Was die Freiheit ist, fragst du? Keiner Sache dienen, keiner Notwendigkeit, keinen Zufällen, das Schicksal auf die gleiche Ebene hinunterführen. An jenem Tag, an dem ich verstehe, dass ich mehr vermag, wird es nichts vermögen: ich soll es ertragen, obwohl sich der Tod in meiner befindet?
(10) Mit solchen Gedanken bescähftigt, soll man ernste und heilige Örtlichkeiten auswählen: zuviel Lieblichkeit verweichlicht den Geist und unzweifelhaft vermag die Umgebung etwas zur Schwächung der Kraft. Einen beliebigen Weg ertragen Zugtiere, deren Huf auf rauhem Boden abgehärtet wurde: auf weichem und sumpfigen Weideland gemästetes Vieh tritt sich schnell die Hufe ab. Und ein ziemlich tapferer Soldat kommt aus einer holprigen Gegend: Träge ist der Städter und der im Haus geborene Sklave. Keine Arbeit lehnen die Hände ab, die zu den Waffen vom Pflug geholt werden: beim ersten Staub erlahmt der, der gesalbt und wohlgenährt ist.
(11) Die strengere Zucht der Umgegung stärkt die Begabung und macht sie geeignet für große Anstrengungen. Scipio wird seine Verbannung in Liternus ehrenvoller als in Baiae verleben: sein Sturz darf nicht so leicht hingestellt werden. Auch jene, denen das Schicksal als ersten die Staatsmacht des Römischen Volkes übertrug, nämlich Gaius Marius, Gnaeus Pompeius und Gaius Caesar, haben zwar einige Landhäuser in die Umgebung von Baiae gebaut, aber sie errichteten sie auf den höchsten Gipfeln der Berge: das schien soldatischer, von oben das weit und breit darunterliegende Land zu beobachten. Schau, wie sie die Lage ausgewählt haben, auf welchen Plätzen sie ihre Gebäude erbauen ließen und welche: du wirst wissen, dass es keine Landhäuser, sondern Lager sind.
(12) Glaubst du, dass Marcus Cato jemals im Begriff gewesen war, dort zu wohnen, um vorbeisegelnde Ehebrecherinnen zu zählen und soviel Arten von Kahnen die mit verschiedenen Farben bemalt sind und eine Rose, die auf dem ganzen See, schwimmt, um die nächtlichen Beschimpfungen der Singenden zu hören? Hätte er etwa nicht lieber innerhalb des Walles bleiben wollen, den er in einer Nacht mit seiner Hand selbst aufgeführt hätte? Warum will er nicht lieber wollen, wer auch immer ein Mann ist, dass sein Schlaf von einem Signalruf als von Orchestermusik gestört wird.
(13)
Aber wir haben lange genug mit Baiae gestritten, niemals genug mit Fehlverhalten.
Diese, bitte ich dich, Lucilius, verfolge ohne Maß, ohne Ende: denn auch
jene haben weder ein Ende noch ein Maß. Wirf weg, was auch immer dein Herz
zerreißt; wenn das nicht anders entfernt werden kann, muss das Herz selbst
damit herausgerissen werden. Verjage besonders die Begierden und halte sie für
die verhasstesten: nach Brauch der Räuber, die die Ägypter Phileten
nennen, umarmen sie uns, um uns zu erwürgen. Leb wohl.