Tacitus' "Annales"
Das Ende der Herrschaft von Kaiser Augustus (ann. 1.3-4)
3.) Im übrigen brachte Augustus zur Unterstützung seiner Herrschaft den noch ganz jungen Sohn seiner Schwester Claudius Marcellus durch die Pontifex-Würde und kurulisches Ädilenamt, und den M. Agrippa, einen Nichtadligen, der durch den Kriegsdienst tüchtig und ein Gefährte seines Sieges war, durch zweimaliges Konsulat herauf, bald nahm er nach dem Dahinscheiden des Marcellus ihn zum Schwiegersohn. Seine Stiefsöhne Tiberius Nero und Claudius Drusus förderte er mit dem Kaisertitel, als sein Königshaus damals noch untadelig war. Denn Agrippa hatte seine Söhne Gaius und Lucius in die Caesarenfamilie miteingebracht und, nachdem noch nicht einmal die Toga praetexta für Jungen ihnen angelegt worden war, heftigst gefordert, dass man sie principes der Jugend nennen und sie zu Konsulen bestimmen sollte, und dabei so tät als würde er sich weigern. Sobald Agrippa verstorben war, schaltete entweder ein Tod, der dem Schicksal günstig war, oder eine List der Stiefmutter Livia den Lucius Caesar, der ins spanische Heer eintrat, und den Gaius, der aus Armenien zurückkehrte und durch eine Verwundung schwach war, aus. Und nachdem Drusus schon längst tot war, war Nero der einzige der Stiefsöhne und zu ihm neigte sich alles: Als Sohn, Amtskollege des Reiches und Mitinhaber der Tribunenmacht wurde er adoptiert und in sämtlichen Heeren vorgezeigt, nicht durch die dunkle Machenschaften der Mutter wie vorher, sondern in aller Öffentlichkeit durch Ermahnung. Denn sie hatte den alten Augustus so sehr betört, dass er seinen einzigen Enkel, Agrippa Postumus, der in der Tat in den guten Künsten ungebildet war und töricht wild in seiner Körperkraft, aber dennoch keiner Schandtat überführt wurde, auf die Insel Planasia warf. Doch den Germanicus, der ein Sohn des Drusus war, übertrug er, beim Hercules, die Macht über 8 Legionen am Rhein und ließ ihn von Tiberius durch Adoption annehmen, obwohl er im Hause des Tiberius ein jugendlicher Sohn war, aber durch den er sich auf mehrere Stützen verließ. Zu dieser Zeit blieb nur der Krieg gegen die Germanen zu führen, eher um die Schande ungeschehen zu machen, wegen des Heeres, das mit Quintilius Varus verloren war, als wegen der Begierde, das Reich zu erweitern, oder wegen einer würdigen Belohnung. Zuhause war die Situation entspannt, die Bezeichnungen für die Beamten waren dieselben; die Jüngeren waren nach dem Sieg bei Actium, auch die meisten Alten zwischen den Bürgerkriegen geboren: wie wenige waren da noch übrig, die einen (freien) Staat gesehen hatten?
4.) Nachdem man also die Staatsform geändert hatte, gab es nirgends mehr
die alten und untadeligen Sitten: nachdem die Gleichheit abgeschafft worden
war, schauten alle auf die Befehle des Prinzeps, obwohl es zum damaligen Zeitpunkt
keine Furcht vor ihm gab, solange Augustus, durch das Alter stark, sich, sein
Haus und den Frieden aufrecht erhielt. Nachdem das Greisenalter fortgeschritten
war, er durch Krankheit und körperliche Schwäche ermüdet wurde,
und sein Ende und neue Hoffnungen auflebten, erörterten wenige die Güter
der Freiheit vergeblich, mehrere gerieten in Furcht vor einem Krieg, andere
begehrten ihn. Der bei weitem größte Teil verbreitete durch verschiedene
Gerüchte die bevorstehenden Herrscher: der Agrippa sei grimmig und in Rage
über seine Schmach und weder an Alter noch an Erfahrungshorizont einer
so großen Last gewachsen, Tiberius Nero sei reif an Jahren und kriegserfahren,
aber von alten un der claudischen Familie angeborenen Hochmut und es brachen
viele Anzeichen eines Wahns bei ihm hervor, obwohl sie zurückgehalten wurden.
Dieser sei auch von frühester Kindheit im Königshaus aufgezogen worden;
ihm seien als Jüngling Konsulate und Siegesfeiern bestellt worden; nicht
einmal in jenen Jahren, in denen er in Rhodos unter dem Vorwand eines Wegzuges
als Verbannter lebte, habe er nicht etwas anderes als über seinen Zorn,
Heuchelei und verborgene Gelüste nachgedacht. Dazu komme noch seine Mutter,
die von weibischer Unbändigkeit war: man müsse der Frau und darüber
hinaus zwei Jünglingen dienen, die unterdessen den Staat drücken und
ihn irgendwann einmal auseinanderreißen.