Tacitus' "Annales"
Der Anfang von Neros Prinzipat (ann. 13.1-2)
[1] Am Beginn des Prinzipats wird der Prokonsul Asiens, lunius Silanus, ohne Kenntnis des Nero durch die List der Agrippina umgebracht, nicht weil er durch das Ungestüm seines Charakters den Untergang herausgefordert hatte, er war träge und von den anderen Herrschaften verschmäht, so sehr, dass ihn Caligula goldenes Schaf zu nennen pflegte: sondern, weil Agrippina seinen Bruder hat umbringen lassen, fürchtete sie ihn als Rächer, weil das Gerücht weit verbreitet war, dass ein Mann im gesetzten Alter, unschuldig, adelig und, worauf man damals (besonders) achtete, von den Nachkommen Caesars abstammend, dem Nero, der noch nicht erwachsen war und die Herrschaft durch ein Verbrechen erlangt hatte, vorzuziehen sei: Denn Silanus war der Ururenkel des göttlichen Augustus. Dies war der Grund des Mordes. Die Helfer waren der römische Ritter P. Celer und der Freigelassene Helius, die dem kaiserlichen Vermögen in Asien vorangestellt waren. Von diesen wurde dem Prokonsul Gift unter das Essen gemischt, all zu offensichtlich als dass sie unbemerkt blieben. Nicht weniger schnell wird der Freigelassene des Claudius, Narcissus, über dessen Rechtsstreitigkeiten gegenüber Agrippina ich berichtet habe, durch die harte Haftbedingung und die äußerste Nötigung zum Tod getrieben, gegen den Willen des Prinzeps, mit dessen bis dahin noch verborgenen Laster durch Habgier und Verschwendungssucht besonders zusammenpasste.
[2] Und man hätte weiter gemordet, wenn sich nicht Afranius Burrus und Aenaeus Seneca in den Weg gestellt hätten. Diese waren die Erzieher der kaiserlichen Jugend und sie waren einträchtig, eine Seltenheit im Machtgefüge, und hatten mit verschiedenen Mitteln in gleicher Weise Einfluss, Burrus durch militärische Sorgen und durch die Sittenstrenge, Seneca durch die Lehren der Beredsamkeit und durch ehrliche Gefälligkeit, indem sie sich gegenseitig halfen, damit sie umso leichter die ungefestigte Jugend des Prinzeps, wenn er den rechten Weg verschmähte, durch das Zugeständnis von Genüssen unter Kontrolle hielten. Beide hatten einen Kampf gegen die Wildheit der Agrippina, die brennend vor allen Begierden einer schlechten Herrin, in ihren Reihen den Pallas hatte, auf dessen Veranlassung sich Claudius durch blutschänderische Hochzeiten und unheilvolle Adoption zu Fall gebracht hatte. Aber auch Nero hatte nicht die Begabung, sich Sklaven unterwürfig zu machen, und Pallas hatte durch seine Widerwärtigkeit das Maß eines Freigelassenen überschritten und damit die Abscheu gegen sich erregt. Dennoch wurden öffentlich alle Ehrungen auf sie aufgehäuft, und zwar gab er (=Nero) dem Militärtribun, der nach Sitte des Militärs diese Losung erbat, den Namen "die beste Mutter". Auch vom Senat wurden (für Agrippina) zwei Liktoren beschlossen und das Priesteramt des Claudius und zugleich wurde für Claudius das Staatsbegräbnis und dann die Apotheose bereitet.